Der gerufene Geist: Die Zinswende ist da – ohne Hurra.

2014 wagte die Europäische Zentralbank den Tabubruch: die Einführung von Negativzinsen. Das Ergebnis sind ungesund gewachsene Vermögenswerte (Stichwort Immobilienpreise) und eine Inflation, die wir seit den 1970er Jahren nicht mehr gesehen haben. Das Experiment der EZB ist krachend gescheitert.

Ein Gastbeitrag von Frank Kohler, Vorsitzender des Vorstandes der Sparda-Bank Berlin eG.

Jetzt steht die Zinswende an, die alle Marktteilnehmer bereits eingeleitet haben. Alle? Nein, denn die EZB hat bis heute keine Zinsanpassung vorgenommen und beschert uns damit die historisch einmalige Situation, dass bei mehr als sieben Prozent Inflation gleichzeitig Negativzinsen implementiert sind. Man muss kein Finanzexperte sein, um zu erkennen, dass diese Geldpolitik falsch war und ist.

Historischer Fehler?

Auch ist zu erwarten, dass die EZB zwar voraussichtlich im Juli eine erste Zinsanpassung vornehmen wird, allerdings wird diese vermutlich erneut geldpolitisch nicht sachgerecht und angemessen sein. Da die EZB bereits sowieso viel zu spät dran ist, wäre die einzig sachgerechte Option wenigstens die schnelle Verabschiedung von den Negativzinsen, also eine Anpassung um 0,5%-Punkte. Selbst dann hätte Euro-Land immer noch Nullzinsen bei mehr als sieben Prozent Inflation. Alle Anpassungen, die kleiner ausfallen, wären eher Symbol- als Geldpolitik.

So oder so: Die Menschen „dürfen“ nun bis auf weiteres mit den Folgen dieser „Geldpolitik“ leben. Der Realzins bleibt vermutlich lange Zeit negativ, was auch weiterhin zu einem Netto-Vermögensverlust des Sparers führt. Die Inflation wird die Lebenshaltungskosten der Menschen spürbar erhöhen, während gleichzeitig Druck auf die Tarifparteien ausgeübt werden wird, dass sie doch bitte das Einsetzen einer Preis-Lohn-Spirale mittels moderater Tarifabschlüsse verhindern mögen. In diesem Bereich versucht die EZB ironischerweise vorbildlich zu agieren, indem sie den Forderungen ihrer eigenen Arbeitnehmer nach Inflationsausgleich nicht nachkommt.

Ende eines fahrlässigen Experiments

Ein weiterer Aspekt: Der Traum nach einem Eigenheim ist bei vielen Menschen, insbesondere bei jungen Familien, unverändert groß. Nun wird die Mischung aus dynamisch steigenden Baupreisen, überproportional gestiegenen Kaufpreisen, stetig steigenden Lebenshaltungskosten und deutlich erhöhten Finanzierungskosten dazu führen, dass der Kreis der jungen Familien, die sich den Erwerb von Immobilien-Eigentum überhaupt leisten können, deutlich kleiner wird.

Gleichzeitig kommen viele Familien, die den Schritt des Erwerbs in den vergangenen Jahren gewagt haben, aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten in Verbindung mit deutlich steigenden Finanzierungskosten nach Ablauf der Zinsbindung, voraussichtlich in den Grenzbereich ihrer persönlichen Kapitaldienstfähigkeit.

Es gibt nichts zu beschönigen: Die kommenden Jahre werden für die Menschen mit erheblichen finanziellen Belastungen einhergehen. Da werden auch einzelne politische Pflaster keinen finanziellen Ausgleich schaffen. Die Europäische Zentralbank wird einige Jahre benötigen, um die Folgen ihres eigenen Wirkens in den Griff zu bekommen.

Im Klartext: Die aktuelle Situation ist der eigens gerufene Geist. Die EZB hat diese Situation mit dem fahrlässigen Experiment eines negativen Geldwertes und unter (Über-)Dehnung ihres einzigen Mandats (Geldwertstabilität) bewusst geschaffen. Nichts an dieser Situation ist überraschend.

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