21 Fragen an Prof. Norbert Bolz – 21 Antworten über seine Twitter-Leidenschaft.
Der Publizist Norbert Bolz gilt vielen als streitbarer und zugleich brillanter Zeitgenosse. Unter dem Motto „Die Wahrheit in einem Satz“ zelebriert er seit 2012 seine Lust an Verknappung und Provokation auch auf Twitter. Jener Plattform also, deren Kauf US-Milliardär Elon Musk zuletzt erst ankündigte und inzwischen neu verhandeln will. Business Beast hat mit Prof. Norbert Bolz gesprochen. Dabei sind keine Frage und keine Antwort länger als ein Tweet. Gesagt ist gesagt. Es gilt das getwitterte Wort!
Prof. Bolz, wofür ist Twitter gut?
Als alternative Informationsquelle abseits der öffentlich-rechtlich und der privaten Medien. Als Quelle, die man durch viele Filtermöglichkeiten selbst gestalten kann. Da steckt zwar das Problem der Blasenbildung drin, aber mit ein bisschen Intelligenz kann man das Problem lösen.
Wollen Sie auf Twitter nerven?
Provozieren schon, aber nicht nerven.
Was stört Sie an Twitter?
Eigentlich nichts. Alles Negative, das man über Twitter sagen könnte, lässt sich mit den Techniken, die das Medium selbst anbietet, leicht eliminieren.
Wird Twitter überschätzt?
Schwer zu sagen. In Deutschland hat Twitter nicht annähernd die gleiche Bedeutung wie zum Beispiel in den USA. Aber in jedem Fall wächst die Bedeutung von Twitter.
Vor fast zehn Jahren sind Sie Twitter beigetreten. Wieso?
Ein Freund, der Trendforscher ist, hat mich auf Twitter hingewiesen. Ich kannte es damals noch gar nicht. Er meinte, ich sei gut dafür geeignet, wegen der pointierten Formulierungen. Ich dachte, ich kann das tatsächlich mal auf die Spitze treiben: Die Wahrheit in einem Satz.
Wie hat sich Twitter in diesem Jahrzehnt verändert?
Es ist noch polemischer geworden, als es ohnehin schon war. Aber ich denke, das liegt nicht am Medium, sondern an den Zeiten. In diesen zehn Jahren sind wir von einer Alarmstimmung in die nächste getrieben worden. Das zeigt sich auch in den Tweets.
Hat Twitter Sie verändert?
Dafür bin ich ein zu unrepräsentatives Mitglied. Ich folge nur sehr wenigen Leuten. Twitter benutze ich eigentlich sehr egoistisch, fast nur um mich selbst zu artikulieren. Deshalb habe ich keine Antwort auf diese Frage.
Könnten Sie jederzeit mit dem Twittern aufhören?
Das will ich doch hoffen.
Wie fallen Ihnen Ihre besten Tweets ein?
Ich bin sehr eitel und eingebildet. Ich hatte schon unglaublich viele gute Tweets. Und natürlich auch viele Beste. Dazu kann ich deshalb nur eines sagen, jedes Mal, wenn ich selbst wirklich stolz auf einen Tweet bin, ist die Resonanz sehr gering.
Medienwissenschaftler fassen sich selten kurz. Warum reizt Sie die Kürze eines Tweets?
Dann bin ich eben kein Medienwissenschaftler. Ich gehöre ohnehin nicht so richtig in den Wissenschaftsbetrieb und bin da Gott sei Dank raus. Mir hat es immer großen Spaß gemacht, mich kurzzufassen. Und ich bewundere die großen Aphoristiker, die es noch besser können als ich.
Können Sie Kittler auf Twitter erklären?
(lacht) Das könnte ich. Ich kann im Grunde jeden Menschen auf Twitter erklären. Ich habe ernsthaft mal ein Buch angefangen, das den Sinn hatte, alle großen Denker in einen wesentlichen Satz zu bringen. Wenn mich jemand dafür bezahlt, bringe ich es doch noch raus.
Warum kommuniziert heute alles und jeder?
Wunderbare Frage. Der Zugang zu Publizität ist einfach so leicht wie nie zuvor. Es gibt keine Barrieren und Gatekeeper mehr. Deshalb hat der Exhibitionismus freie Bahn. Und das nutzen viel mehr Menschen. Die hohen Barrieren zur Publizität sind heute weg.
Kann man sich heute ohne Social Media etablieren? Zum Beispiel als Wissenschaftler, Unternehmer, Politiker oder Künstler.
Alles andere wäre ja eine Katastrophe. Da fällt mir Botho Strauß ein. „Withdrawing from media density“ hat Douglas Coupland das genannt. Man kann berühmt werden, indem man genau das Gegenteil macht. Wenn alle Welt Social Media nutzt, ist Askese wieder ein Alleinstellungsmerkmal.
Kann man Twittern lernen? Oder braucht es Talent?
Ich finde, die meisten können es überhaupt nicht. Die haben es also weder gelernt noch Talent. Zum Glück, sonst hätte ich ja gar kein Alleinstellungsmerkmal.
Wie oft ändern Sie Ihre Meinung auf Twitter?
Das müssen Sie mir nachweisen. Mir fällt kein Beispiel dafür ein. Fehleinschätzungen über tagespolitische Themen mag es hin und wieder geben. Als ich zum Beispiel behauptet habe, es würde gar kein Politiker mehr zurücktreten, ist Frau Spiegel kurz darauf doch noch zurückgetreten.
Wenn Elon Musk Twitter am Ende wirklich kauft, was erwarten Sie von ihm?
Wenn er nicht ein absoluter Betrüger ist, erwarte ich schon von ihm, dass er ernst macht mit dem Kampf gegen die Internetzensur. Ich bin da sehr optimistisch, dass es wieder echte Meinungsfreiheit auf Twitter gibt.
Ist Twitter überhaupt noch zu retten?
(lacht) Ist es denn vom Aussterben bedroht oder todkrank? Ich wüsste es nicht.
Wann fangen Sie endlich an zu gendern?
Zu diesem Thema habe ich schon zu viele Tweets abgesetzt. Das wäre dann wirklich eine Metanoia, eine Umkehr im geradezu christlichen Sinne, wenn ich das jetzt plötzlich gut finden würde, obwohl es für mich bisher der Inbegriff der Verblödung war.
Bis 2018 waren Sie Professor an der Technischen Universität zu Berlin. Wie viel Kritik hat Ihnen das twittern als Professor da eingebracht?
Ich war damals noch sehr behutsam, aber kurz vor meiner Pensionierung hat mich der Unipräsident vorgeladen und nach meinem Account gefragt. Er fürchtete, die Reputation der TU könnte darunter leiden. Ich konnte ihn aber mit dem Hinweis auf meine baldige Pensionierung beruhigen.
2009 sagten Sie in einem Interview, soziale Medien machten aus Idealismus Realismus. Ist das heute wieder umgekehrt?
Jetzt haben Sie mich wirklich erwischt. Ich glaube, das war Blödsinn. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe mich selbst nicht. Halten wir fest, Norbert Bolz hat hin und wieder Blödsinn formuliert. Mea culpa! Oder sie zitieren mich falsch… (lacht)
Wann hören Sie auf zu twittern?
Bald habe ich zehnjähriges Jubiläum. Da habe ich schon dran gedacht. Aber langsam wird es indirekt auch ein bisschen zur Geldquelle. Als verarmter Professor im Ruhestand suche ich nach jeder Möglichkeit, was dazuzuverdienen. Es könnte also auch sein, dass ich noch ewig dabei bin.
Prof. Bolz, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Norbert Bolz studierte Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaft, promovierte über die Ästhetik Adornos und habilitierte mit einer Schrift zum Philosophischen Extremismus zwischen den Weltkriegen. Später lehrte er zunächst als Professor für Kommunikationstheorie an der Universität Duisburg-Essen und bis zu seiner Pensionierung am Institut für Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität Berlin. Auf seinem Fachgebiet gilt er als intellektuelle Größe, durch seinen Twitter-Account auch als streitbarer Zeitgenosse. Sein verknappter Stil und die Lust an der Provokation haben ihm dort inzwischen rund 50.000 Follower eingebracht. Zuletzt erschien von ihm „Die Avantgarde der Angst“ im Verlag Matthes & Seitz Berlin, 191 Seiten, 14 Euro.
Die Fragen stellten Louis Hagen und Maxim Zöllner-Kojnov.