Geht’s um Geld oder Gold?

Geld für Gold? Das ist manchmal nicht ganz einfach und hängt schwer davon ab, wer und in was. Beim Gewichtheben der Frauen reicht der Gewinn für Ehre im Heimatverein und ein Foto in der Lokalzeitung. Ringen, Karate – alles brotlose Künste. Auch Rudern ist vor allem Schufterei und wird allein mit dem Sieg und anschließender Nationalhymne belohnt.

Anders läuft es bei den Beachvolleyballerinnen. Da kann Gold schon ein paar Hunderttausend Dollar in die Kasse spülen. Oder Marathon. Seit Jahren rennen die Kenianer vor allem für Geld. Aber dann die Königsdisziplin der Spiele: 100 Meter der Herren. Usain Bolt – schnellster Mann der Welt über 100 und 200 Meter – er ist jetzt gut sechs Jahre nach seinem Karriere-Ende für die Allianz als Top-Model unterwegs. Zehn-Kampf-Herren. Schwimmen – aber nur wer Michael Phelps heißt und nicht nur alle anderen in Grund und Boden schwimmt, sondern auch noch aussieht wie aus dem Katalog.

Die Olympischen Spiele haben längst begonnen. Athleten kämpfen seit Monaten, um am Tag der Tage auf dem Höhepunkt ihrer Form zu sein. Der Bau von Stadien und olympischen Anlagen geht in die Endphase. Nicht selten werden Milliarden erst verbaut und dann in den Sand gesetzt. Die Spiele in Tokio werden mit rund 23 Milliarden Euro die teuersten in der Geschichte der Sommerspiele sein, inklusive Hygiene-Konzepte.

Höher – schneller – reicher

„The Games must go on.“ Legendärer Satz des einstigen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Avery Brundage (USA) auf der Trauerfeier nach dem von Palästinensern verübten mörderischen Olympiaattentat von München 1972. „Function follows money“, möchte man hinzufügen.

Ungewollt sprach Brundage 1972 gleich das Leitmotto für seine Nachfolger aus. Weder Wirtschaftskrisen, Nabelschauen von Despoten oder Corona lassen das IOC von seinen Spielen abbringen. „Höher – schneller – reicher“ heißt das IOC-Firmenmotto seit den Spielen von Los Angeles 1984 in Abwandlung des ursprünglichen „Höher – schneller – weiter“. In Kalifornien wurden die Spiele erstmals vollständig privat finanziert. Sie erbrachten unter dem Strich ein Guthaben von 231 Millionen Dollar und den Nachweis, dass der Sport für Sponsoren, TV-Anstalten und Medien einen enormen Wert hat. So kann das Unternehmen IOC florieren. Die Blaupause für alle folgenden Spiele war geboren!

„The Games must go on“. Statt wie bisher Olympiagastgebern in einer Art Franchise-System einen Forderungskatalog mit allen Risiken (Verluste) und Nebenwirkungen (Gewinne) vorzulegen, nutzt das IOC fortan ihr einziges Produkt, den Sport, um es gewinnbringend zu vermarkten. Kungeln, lügen, bestechen waren angesagt. Maßgeblich wirkten dabei der Chef des Sportartikelherstellers Adidas, Horst Dassler, und der neue IOC-Präsident von seinen Gnaden, Juan Antonio Samaranch (1980 – 2004) mit. Ein Geheimabkommen mit Erfolg! Ein für die Jahre 1985 bis 1988 entwickeltes Sponsorenprogramm spülte 94 Millionen Dollar in die IOC-Kasse.

Ein globaler Wettbewerb der Freude

Die FAZ vermerkte trocken: „Das Bestreben des Sportführers, der olympischen Bewegung zu Geld, Macht und Größe zu verhelfen, verband sich mit dem merkantilen Interesse des Sportartikelhändlers.“ Beträge, über die heute müde gelächelt wird. Für die Spiele in Tokio legen allein die Top-Sponsoren Coca Cola, Atos, Bridgestone, Dow, GE, McDonald’s, Omega, Panasonic, P&G, Samsung und VISA 880 Millionen Dollar auf den Tisch. Die TV-Rechte bringen bis 2032 noch einmal 20 Milliarden. Alles steuerfrei. Der Sportkonzern mit dem hohen moralischen Anspruch ist nach Schweizer Recht gemeinnützig.

„The Games must go on.“ Tokio 1964 war noch für 250 Millionen zu haben, München 1972 übertraf erstmals knapp die Milliarde (mit U-Bahn-Bau), London 2012 setzte mit 13,5 Milliarden Pfund die bisherige Bestmarke. Und nun also die für 2020 geplanten und verschobenen Corona-Games von Tokio. Am 23. Juli wird IOC-Präsident Thomas Bach – 1976 Fecht-Olympiasieger mit dem Team – „the Games for open“ erklären. Zum Ende der Pandemie, wo selbst ein Abendspaziergang um den Block noch schwierig ist.

Weltweit hagelt es angesichts bis jetzt rund 3,5-Millionen-Corona-Toten seit Monaten Kritik an IOC und Tokio. Angesichts einer globalen Wirtschaftskrise. Angesichts der Gefahr, dass die Spiele zum Mega-Spreader werden könnten. Angesichts dessen, dass das 100-Meter-Finale vor ein paar geimpften Japanern auf den Tribünen nicht das ist, wofür die Olympischen Spiele stehen: Ein Fest der Jugend. Ein globaler Wettbewerb der Freude und Freunde.

Teil der Unterhaltungsindustrie

Das IOC hält eisern am Vorhaben fest. Es geht um Milliarden. Japans Regierung hingegen steht angesichts von Protesten der Bevölkerung und mahnenden Stimmen von Sportlern zunehmend unter Druck. Hygienekonzepte hin, Sportlerblase her – wie werden die freiwilligen Helfer, die Polizei vor Corona geschützt?

Man habe alles im Griff, es werde alles zum Wohle der Sportler getan. Alles Im Griff lautet auch die Botschaft des seit 2013 amtierenden IOC-Präsident Thomas Bach. Gemeint ist das Wohl der Cash-Maschine IOC. Denn auf den Gewinn kann und will der Konzern IOC nicht verzichten. Seine plakatierten hohen moralischen Ansprüche Frieden, Fairness, Völkerverständigung, Menschenrechte sind schon öfter für Geld geopfert worden. Man ist Teil der weltweiten Unterhaltungsindustrie.

Wie in einem Drama auf Netflix wird geschoben, geschummelt und gemauschelt.  Doping, zunehmende Kommerzialisierung und Dekadenz – alles Kennzeichen der Jetztzeit. In Los Angeles 1984 wurden 34 US-Athleten bei geheimen Dopingproben positiv getestet, jedoch nicht gesperrt. In Sotschi 2014 bei den Wintergames agierte ein staatlich organisiertes Doping-Vertuschungsteam für Russland, und Wladimir Putin setzte sich mit den teuersten Winterspielen (50 Milliarden Dollar) ein teures, schändliches Denkmal. Sein chinesischer Kollege Xi Jinping ist auf dem besten Weg, ihn im kommenden Winter mit den Wettkämpfen in Peking zu überbieten. Den Olympischen Orden hat Xi Jinping bereits von Thomas Bach überreicht bekommen. China ist für das IOC ein Wintersport-Markt und Brachland, das Riesengewinne verspricht.

Die Primetime gehört Fußball

Doch es droht Gefahr. Die Ware des IOC, ihr Produkt, die Gladiatoren der Neuzeit – die Athleten – begehren auf! Sie wissen um ihren Wert. Sie wollen nicht länger Produkt sein. Sie fordern Teilhabe statt warmer Worte.

Das Fernsehen macht Olympia – und die Stars. Gegenleistung für die hohen TV-Rechte-Summen: Die Sender lassen Ablaufpläne nach ihren Wünschen zuschneiden. Dabei drücken sie angeblich unattraktive Sportarten aus dem Programm. Kanu, Bogenschießen, Bahnradsport – längst sind sie in Sparten-TV-Kanäle oder die Dritten Programme verbannt. Wer erinnert sich noch an Leichtathletik-Länderkämpfe, Springreit-Turniere oder Schwimm-Championate, die bei den öffentlichen TV-Sendern ganze Wochenendprogramme bestimmten und für Unterhaltung sorgten? Alles weg.

Die Prime-Time gehört nur einem. Dem Fußball. Vielleicht noch Formel 1. Manchmal Tennis. Den Leistungen der Athleten wird das nicht gerecht. Doch was zählt das, wenn es um den Profit geht? Da muss es nicht wundern, dass der deutsche Sport die „Finals 2021“ wie einen Lottogewinn feiert. Von 3. – 6. Juni werden in Berlin und NRW in 18 Sportarten nicht weniger als 140 Deutsche Meister gekürt. ARD und ZDF übertragen 25 Stunden live, zahlen für die TV-Rechte. Wow! Doch die Jubelböller lenken nur ab: Der Fußball hat Pause, da werden gern ein paar Almosen verteilt.

England führt in der Geldrangliste

In den Kreis der Gut- und Besserverdiener in medienrelevanten Sportarten wird keiner der neuen Meister aufschließen. Erst recht nicht zu der Handvoll Superathleten, die es zum Milliardär schafften. Allen voran Basketballer Michael Jordan. Er soll ein Bankkonto mit 1,8 Milliarden Dollar besitzen. Dagegen sind die Messis und Ronaldos trotz opulenter Gagen noch Waisenknaben.

Doch damit soll bald Schluss sein. Die Next-Generation im Fußball soll nun in die Königsklasse der Top-Top-Top-Verdiener aufsteigen. Die Besten der Besten müssen zu den besten Vereinen. Bezahlt mit TV- und Werbegeldern, oft auch auf Pump. In Deutschland wurden die Rechte für die Bundesliga 1965 noch für 650.000 Mark an ARD und ZDF vergeben. Seither ist deren Preis um mehr als das 600-fache gestiegen. Für die Spielzeiten 2021/22 bis 2024/25 können die Clubs mit Einnahmen in Höhe von durchschnittlich 1,1 Milliarden Euro rechnen. Dies entspricht einem Gesamterlös in Höhe von 4,4 Milliarden Euro. Führend in dieser Geldrangliste ist aber England.  

Die Premier League verdient pro Jahr allein an den TV-Rechten 1,72 Milliarden Euro. Zudem können die Klubs noch auf großzügige Zuwendungen eines Oligarchen (Chelsea London), einer Investment Group aus Abu Dhabi (Manchester City) oder einer US-Kapitalgesellschaft (Liverpool) bauen. Oder sie machen trotz Financial Fairplay dreistellige Millionen-Schulden (Real Madrid, FC Barcelona). Mit 217 Millionen Euro Schulden spielt in diesem erlauchten Kreis auch Schalke 04 mit – sportlich allerdings in Liga 2. Doch das ist eine andere Geschichte.

UEFA gegen die Super League

Ein Aufschrei ging durch Europa, als am 18. April die Gründung einer Super League bekanntgegeben wurde. Unter dem starken Motto „The best clubs. The best Planers. Every week” sollten sich dort 20 europäische Mannschaften mit 15 Dauermitgliedern und je Spielzeit fünf weiteren in nicht weniger als 193 Partien gegenüberstehen. Die US-amerikanische Bank JPMorgan Chase kündigte an, die League mit 3,5 Milliarden Euro zu finanzieren. Die Gründungsvereine hatten sich mit einem Vertrag verpflichtet, 23 Jahre lang in der Super League zu spielen. Jedes Jahr seien inklusive Zinsen 264 Millionen Euro an JPMorgan zu erstatten, womit JPMorgan Chase 6,1 Milliarden Euro erhalte. Laut einer Schätzung von Insidern hätte ein Super-League-Klub bis zu 700 Millionen Euro pro Saison erhalten können. Weit mehr, als die UEFA mit der Champions League ausreichen kann.

Fan-Proteste und die öffentliche Empörung folgten erwartungsgemäß. UEFA und FIFA griffen zu ihren schärfsten Waffen: Sie drohten den an der Super League teilnehmenden Vereinen den Ausschluss von allen Wettbewerben auf nationaler, europäischer und weltweiter Ebene sowie von Super-League-Spielern an Welt- und Europameisterschaften an: „Die Spieler, die in der Super League spielen, werden keine WM und EM mehr spielen können, sie werden nicht mehr ihre Nationalmannschaft vertreten können. Mit dieser zynischen Idee spuckt man allen Fans und der Gesellschaft ins Gesicht“, so Aleksander Čeferin, Präsident der UEFA, der natürlich an den Wert seines eigenen Produktes dachte.

Das saß – und bis auf Real Madrid und den FC Barcelona zogen die Gründungsmitglieder FC Arsenal, FC Chelsea, FC Liverpool, Manchester City, Manchester United, Tottenham Hotspur, AC Mailand, Inter Mailand, Juventus Turin und Atletico Madrid sich (vorerst) von dem Projekt der Geldvermehrung zurück.

Am 11. Juni 2021 beginnt zunächst die um ein Jahr verschobene Fußball-Europameisterschaft. Zum Auftakt spielt die Türkei gegen Italien im Olympiastadion in Rom. Ob und unter welchen Voraussetzungen Zuschauer in die Stadien gelassen werden, entscheiden die lokalen Gesundheitsbehörden. Je nach Stadiongröße können das zwischen 12.000 und 57.000 Zuschauer sein. Ausländische Fans sind nicht bei jedem Spiel erlaubt. Das Finale wird allerdings in einem vollbesetzten Wembley Stadium in London am 12. Juli 2021 stattfinden. Selbstverständlich müssen alle Zuschauer und Spieler getestet sein.

Die nächsten Milliarden werden kommen

Die Super League war ein weiterer Testballon einer seit 1988 immer wieder aufgelegten Idee für den Fußball in Europa, für die es längst ein Vorbild gibt: Die American Football League. 32 in Privatbesitz befindliche als Franchise organisierte Teams spielen den im Superbowl ermittelten Meister aus. Die Spieler werden in den sogenannten Drafts zwischen den Vereinen gehandelt, um so auch die sehr guten Gagen im Griff zu behalten. Die Liga ist mit 13 Milliarden Dollar die umsatzstärkste der Welt und lockt mit dem Superbowl zugleich die meisten TV-Zuschauer an. In den USA bis zu 150 Millionen, weltweit 800 Millionen.

Unter den Top Ten im ewigen Zuschauer-Ranking stehen allein acht Superbowl-Finals. Die günstigste Eintrittskarte kostet 500 Dollar, eine Loge ist im sechsstelligen Bereich angesiedelt, für einen Parkplatz am Stadion müssen 500 Dollar hingelegt werden, und eine Karte für das Public Viewing vor der Arena kostet 700 Dollar. Beim ersten Superbowl-Finale 1967 bekam man noch für sechs bis 12 Dollar ein Ticket. Auch die Werbepreise explodierten. 1967 kostete ein 30-Sekunden-Spot 34.500 Dollar.  In diesem Jahr mussten dafür 5,6 Millionen hingelegt werden – 157.000 Dollar pro Sekunde! Bei diesen Summen wundert es nicht, dass mit einem Nettowert von 4,8 Milliarden Dollar die Dallas Cowboys die wertvollste Mannschaft der Welt sind, gefolgt von den Baseballern der New York Yankees.

Eine verlockende Perspektive für Europas Fußball. Was passiert, wenn beim nächsten Mal von JPMorgan oder einem anderen Investor 20 Milliarden angeboten werden? Warum sollen sich Top-Teams dann weiter mit aufwendiger und teurer Nachwuchsarbeit abplagen, wenn diese in anderen Fußballvereinen ausgebildet werden und man sie wie eine Maschine kaufen kann? Auch einen Nichtstart für eine Nationalmannschaft könnten Spieler angesichts von Millionengehältern nicht nur für Messi & Co. verschmerzen. Das nächste Super League-Projekt wird kommen.  So wie die Spiele in Tokio.

Illustration: Regina Bense

Zurück zur Übersicht
Scroll to Top