„Industrielle Revolutionen sind keine Spaziergänge“

Prof. Dr. Ines Zenke, Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD und Gründerin von Woman in Lead im Interview mit Business Beast.

Business Beast: Glückwunsch! Seit wenigen Wochen sind Sie Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums. Perfektes Timing, könnte man meinen, jetzt wo Ihre Partei auch im Kanzleramt wohnt.

Ines Zenke: Vielen Dank und ja, ich freue mich über einen Bundeskanzler Olaf Scholz. Als wir das Wirtschaftsforum gegründet haben, war die SPD zwar auch schon in Regierungs(mit-)verantwortung. Ein vierter sozialdemokratischer Kanzler aber war damals für viele undenkbar. Selten gab es mehr Koordinierungs- und Gesprächsbedarf zwischen Wirtschaft und Politik wie heute. Die Herausforderungen einer Treibhausgasneutralität bis 2045 sind immens. Die CEOs müssen ihre Unternehmen völlig neu denken. Wir als SPD-Wirtschaftsforum bieten eine geeignete Plattform, um den Dialog zwischen Unternehmen und Regierung zu organisieren.

Die vor gewaltigen Aufgaben steht.

Ja. Deutschland muss Tempo machen bei der Aufholjagd, wenn es um die Digitalisierung geht. Da sind andere Länder deutlich weiter als wir. Zudem steht mit dem Zukunftsthema Nummer 1 – dem nachhaltigen Wirtschaften, Leben und Arbeiten – ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess auf der Agenda, der seinesgleichen in der Geschichte sucht. Fast alles wird in den kommenden Jahren auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die Klimaziele sind klar definiert. Vieles von dem, was wir alle als gewohnten Alltag schätzen gelernt haben, müssen wir neu oder anders denken. Wir müssen Kreisläufe schaffen und treibhausgasneutrale Alternativen entwickeln. Bezahlbar muss das Ganze auch noch sein. Und unsere Wirtschaft soll in Deutschland bleiben.

Und das trauen Sie Olaf Scholz zu?

Nicht nur ihm, sondern der kompletten Regierungsbank. Mich hat die Regierungsbildung wirklich beeindruckt. Das wurde vom neuen Bundeskanzler professionell durchgemanagt und lässt für die Zukunft vieles hoffen und erwarten. Der Koalitionsvertrag gibt klare Perspektiven. In ihm wurden klare Ziele definiert, aber auch bereits gezeigt, mit welchen Maßnahmen die Ergebnisse gebracht werden sollen. Dabei wird nicht nur auf Tempo, sondern auch auf den langen Atem Wert gelegt. Dass es dabei gleichwohl steinig wird, liegt in der Natur der Sache. Industrielle Revolutionen – und von nichts Geringerem reden wir hier – sind keine Spaziergänge. 

Und dann gibt es ja auch die kleinen Sachthemen: Corona, Rentenlücke, demografische Entwicklung, Bildungsnotstand, Migration, Spaltung der Gesellschaft, Spaltung der EU…

Jedes der Themen, die Sie ansprechen, hätte allein schon das Potenzial, das leistbare Arbeitspensum einer Regierung an die Grenzen zu führen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass viele Entwicklungen einander bedingen oder miteinander interagieren. Die Corona-Pandemie zum Beispiel war auch ein großer Booster für die Digitalisierung in den Unternehmen. Arbeit denken wir heute völlig anders. Die Klima- und Ressourcenwende wiederum entfesselt beeindruckende Innovationen. Ich sehe, wie sich ganze Wirtschaftszweige rasant und neu erfinden und ihrer Belegschaft eine belastbare Zukunft bieten. Wohlstand befriedet und Wachstum befeuert. Das wirkt natürlich wieder auf Bildung, Einwanderung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. 

In vielen internationalen Rankings – ob Glasfaserausbau, Digitalisierungsgrad der Unternehmen, flächendeckendes Netz und so weiter – landet Deutschland mittlerweile auf den ganz hintersten Plätzen, dort wo Bulgarien oder so stehen. Wird die SPD nun immense Schulden machen müssen, um die Aufholjagd zu finanzieren? Sprich. Ist die schwarze Null zu halten?

Das stimmt. Deutschland ist auf den Spitzenpositionen nicht zu finden. Und so sollte es nach unserem Selbstverständnis eigentlich sein. Ob die schwarze Null angesichts des Arbeitsprogramms und den anstehenden Milliarden-Investitionen zu halten ist? Der Sparfuchs in mir ruft „muss ja“. Dass Ausgaben nicht größer als die Einnahmen sein sollen, entspricht einem gängigen Lebensgefühl. Tatsächlich habe ich aber Zweifel, ob dies hier die richtige Frage ist. Ganz grundsätzlich ist die schwarze Null kein Prinzip aus sich selbst heraus; das wäre zu kurz gedacht. Sind Zinsen niedrig und bleiben dies in der Prognose, sind Staatsschulden machbar und können für eine in der Erwartung wachsende Volkswirtschaft richtig sein. Nur wer säht, kann auch ernten. Und mit der Transformation sollen große Einnahmen generiert werden. Auch zeigt der Blick auf den Haushalt nicht abgerufene Spielräume. Genau Letztere will sich Christian Lindner gern erhalten.

Das kleine Bundesland Bremen hat neulich die Studienergebnisse einer Enquete-Kommission zum Umbau des Stadtstaates auf eine dekarbonisierte Wirtschaft und Gesellschaft für die Hansestadt veröffentlicht: 50 Milliarden Euro – so die Studie – wird das mindestens allein in Bremen kosten. Von welcher Summe reden wir dann erst, wenn wir über Deutschland reden?

Der BDI hat gerade eine Studie herausgegeben, nach der allein 860 Mrd. € Mehrinvestitionen für Klimaschutz bis 2030 erforderlich werden. Nach betriebswirtschaftlicher Betrachtung. Und für Städte wird gern die Faustformel 1 Mrd. € Kosten je 100.000 Einwohner gewählt. Trotzdem werden wir die Klimaziele erreichen müssen. Dazu hat sich Deutschland bekannt und rechtlich verpflichtet. Schaffen wir das nicht, wird es teuer. Für die Unternehmen. Und für Deutschland.

Wen muss Kanzler Scholz mehr fürchten? Den neuen Mann der Spitze der CDU – Friedrich Merz. Oder den Widersacher in der eigenen Partei: Kevin Kühnert, der jetzt neuer Generalsekretär der SPD ist und sicher eher linke Positionen vertritt.

Als Wirtschaftsforum geht es uns um Inhalte und nicht um Köpfe. Dennoch ist uns doch allen klar, dass bei den Zukunftsaufgaben, die jetzt auf dem Programm stehen, die Sozialverträglichkeit der Transformation immer mitbedacht werden muss. Wir können und dürfen nicht weite Teile der Gesellschaft ausgrenzen, sondern müssen darauf achten, dass wir möglichst allen ein gutes Angebot machen. Das entspricht einem klassischen Verständnis von sozialer Marktwirtschaft und Sozialdemokratie, welches auch das Wirtschaftsforum teilt. Und zu Friedrich Merz: Zu einer funktionierenden Demokratie gehört eine starke, konstruktive Opposition. Es tut uns allen gut, wenn die CDU nach 16 Jahren Regierung in diese Rolle schnell hineinfindet.

Sie sind ja auch Mitbegründerin von Women in Lead – Frauen in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft. Zufrieden mit der Besetzung? Genug Frauen im Kabinett.

Acht Frauen, acht Männer und dann noch Olaf Scholz als neunter Bundeskanzler. Das ist eine gute Mischung …

Quote?

Nein Mischung. Frauen besetzen zentrale Ressorts – wie das Außen-, das Innen- und auch wieder das Verteidigungsministerium.

Women in Lead wurde Anfang 2021 gegründet. Wer ist denn alles dabei? Und was ist eigentlich ihre Agenda?

Women in Lead gibt es seit Februar 2021. Svenja [Svenja Schulze, die damalige Bundesumweltministerin und heutige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, d. Red.] und ich haben ein Netzwerk geschaffen, das Frauen in Führungspositionen aus Wirtschaft und Politik zusammenbringt. Heute haben wir einen festen Kreis, in dem sich exzellente Frauen zu den Themen der Zeit austauschen. Von Anfang an galt dabei die Idee, dass wir kein Marketingverein sein wollen, der jede neue Personalie an die große Glocke hängt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Klingt wie ein Geheimbund?

Ach wo (lacht). Immerhin haben wir eine Webseite, ein erstes Grundlagenpapier und zum Beispiel zwei Wirtschaftskonferenzen organisiert, Letztere übrigens mit rein weiblicher Panel-Besetzung. Dass wir nicht alles auf der großen Bühne diskutieren wollen, ist doch klar …

Vielen Dank für das Gespräch.


Die Fragen stellte Ulrich Porwollik .

Bild Prof. Dr. Ines Zenke © Wirtschaftsforum der SPD e.V.

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