Kriminelle Manager fallen am tiefsten

Interview mit dem ersten deutschen Prison Coach Peter William Meyer.

In Deutschland leben circa 51.000 Strafgefangene in 179 Gefängnissen. Ein Teil von ihnen verbringt fast sein ganzes Leben hinter Gittern. Nach seiner eigenen Hafterfahrung und vorzeitiger Entlassung hat sich Peter William Meyer auf die professionelle Betreuung von Menschen in dieser Situation spezialisiert. Was er erlebt hat, wie er hilft, lesen Sie im Business Beast-Interview.

Business Beast: Sie bezeichnen sich selbst als Prison-Coach, was ist das eigentlich?

Peter William Meyer: Ich habe Business-Coaching gelernt. Zu meinen Coaching-Werkzeugen gehören Fragetechniken, Flipcharts oder auch Bodenanker. Die Sitzungen dauern manchmal 90, manchmal 120 Minuten, manchmal aber auch drei Stunden. Psychologen oder Anwälte, die Insassen betreuen, leben nicht im Gefängnis. Ich schon, ich war einer von denen, daraus mache ich kein Geheimnis, das gehört zu meiner Vita. Ich war Bankräuber und habe dafür viereinhalb Jahre in mehreren Gefängnissen verbracht. Ich weiß, wie es da drinnen zugeht und vor allem, wie es sich anfühlt. Ich kenne die Hierarchien in einem Knast, und die sind überall gleich.

BB: Wie können wir uns ihre Arbeit vorstellen?

PM: Ich höre dem Klienten zu, aufmerksam. Viele können das ja in der heutigen Zeit nicht mehr. Erst wenn ich sein Inneres verstehe, wenn ich weiß, was ihn bewegt, können wir anfangen zu arbeiten. Menschen, die ins Gefängnis gehen, mochte ich auf das vorbereiten, was dort abläuft, was sie erwartet und wie es ihnen gelingt, die Konsequenzen lieben zu lernen. Die Leute haben unglaubliche Angst, wenn sie ins Gefängnis müssen. Und sie müssen vieles lernen: Wann darf ich telefonieren? Welche Besuchszeichen gibt es? Wie benehme ich mich gegenüber meinen Mithäftlingen? Hier treffen Menschen aus den verschiedensten Milieus und mit verschiedenen Vorgeschichten aufeinander. Sexualstraftäter zum Beispiel werden in der Regel zwar von den anderen getrennt. Trotzdem kann es sein, dass man die Zelle mit einem Totschläger, Neonazi oder dem Mitglied einer Verbrecherfamilie teilt. Da hilft es, Gemeinsamkeiten zu finden. Das große Thema ist Fußball, nicht überraschend. Aber es gibt noch ein Thema, auf das alle abfahren: Helene Fischer. Eine wichtige Regel, um im Knast in Ruhe gelassen zu werden: Du darfst niemals einen Häftling verpfeifen, im Gefängnisjargon „Zinken“ genannt. Das kann gefährlich werden. Denn in jedem Gefängnis gibt es einen toten Winkel, den Kameras nicht überwachen können. Besonders unter den Duschen werden Meinungsverschiedenheiten beigelegt. Du bist dann in einem Raum mit dreißig nackten Männern, und auf einmal wird einer dumm und dämlich gehauen. Da sollte man cool bleiben.

Durch meine jahrzehntelange Erfahrung als Strafverteidiger wie auch die vieler Kollegen zieht sich eine Konstante: Nicht die Verurteilung als solche, sondern eine mögliche Inhaftierung weckt tiefe und diffuse Ängste. Ob bekannte Persönlichkeiten – wie ich sie oftmals vertreten habe – oder einfache Straftäter – als Erstinhaftierte fürchten alle die Haft und vor allem ihre ganz persönlichen Bedrohungen für Körper, Seele und Geist. Eine individuelle professionelle Vorbereitung vor dem Haftantritt eröffnet dem Inhaftierten eine bessere Prognose und Gesamtperspektive. Durch gutes Prison Coaching ist der Verurteilte vorbereitet, resilienter und gelassener.

Deutschlands bekannter Strafverteidiger Dr. Gerhard Strate über Prison Coaching

BB: Was haben Sie für Klienten?

PM: Das ist natürlich sehr individuell. Ein Klient von mir hatte 24 Jahre wegen Mordes gesessen, als wir uns kennenlernten. In dieser Zeit hatte er sich keinem gegenüber geöffnet. Seine Identität war die Opferrolle. Wir hatten lange Gespräche über unsere Hafterfahrungen, über Schuld, Sühne und vieles mehr. Im Laufe des Coachings nahm er seine Verantwortung an – und wurde entlassen. Manchmal betreue ich auch Paare. Ist ein Partner für längere Zeit im Gefängnis, dann verbittern viele in ihren Beziehungen. Angst, Eifersucht, Wut – das alles spielt da hinein. In solchen Fällen bin ich auch Vermittler, nehme beiden Seiten die Furcht. Eine Haft ist nicht das Ende des Lebens, und das muss ich meinen Klienten manchmal bewusst machen.

BB: Gibt es viele Prison Coaches?

PM: In Deutschland ist das ein ungewöhnlicher Beruf, soweit ich weiß, bin ich hier der Erste. Um meine Vision bekannter zu machen, wäre ein medienträchtiger Fall hilfreich. In den USA und Großbritannien gibt es Prison Consultants schon seit 15 Jahren. Ich bin sicher, dass es sich auch in Deutschland durchsetzen wird.

„Das Gefängnis gehört zu meiner Vita, das ist kein Geheimnis“. Peter William Meyer im Gespräch mit Business Beast.

BB: Sie haben auch Wirtschaftskriminelle erlebt. Wie ticken die?

PM: Diese Menschen sind oft getrieben von Gier, sie wollen immer mehr: Geld, Ansehen, Macht. Wirtschaftskriminelle interessieren sich nicht für ihre Opfer, sie fühlen sich unangreifbar. Sie sehen sich meist auch im Recht. Ihr Motto: Ich zahl doch schon genug Steuern, irgendwann reicht‘s. Lieber stifte ich Geld für Sachen, die ich mir selbst aussuche. Wirtschaftsverbrecher sind Alphatiere. Sie sind es gewohnt, dass Dinge erledigt werden, wenn sie nur mit dem Finger schnippen.

BB: Und im Gefängnis…?

PM: Kriminelle Manager fallen sehr tief. Die machen eine Landung wie Quax der Bruchpilot im Film mit Heinz Rühmann. Eingepfercht in eine sieben Quadratmeter kleine Zelle. Das erste, was ihnen genommen wird, ist die erarbeitete Identität. Nicht mehr Dr. Soundso, du bist jetzt Häftling Nr. XY. Im Gefängnis kann es vorkommen, dass so ein Manager stundenlang auf eine Rolle Klopapier warten muss. Die Vollzugsbeamten lassen ihn oft spüren, was sie von ihm halten. Manchen macht es Spaß, die hohen Herren zu piesacken. Das hat Potenzial für extreme Reibung. Nach einer Weile im Gefängnis vollzieht sich bei den meisten Wirtschaftskriminellen eine Wandlung, sie nehmen ihr Schicksal an. Sie sind ja in der Regel gebildet, helle Köpfe. Aber ihr ausgeprägtes Ego zieht alle Register, um Widerstand aufzubauen. Das ist der beste Zeitpunkt für mich, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Sie brauchen wirklich Hilfe.

Peter William Meyer ist lizenzierter Prison, Künstler und Perfomance Coach. Er ist unter www.schwarzerpeter.coach oder www.prison-coach.de erreichbar.

Die Fragen stellten Liam Spitz und Louis Hagen (Business Beast).

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