Lass kommen, Kumpel!

Das wilde Zocken mit der Bequemlichkeit

In Berlin konkurrierten in der vergangenen Woche acht Unternehmen auf dem Markt der Lieferdienste. Marktführer: Lieferando. Diese Woche ist ein weiteres hinzugekommen. „Alpakas“ will den Biosupermarkt ins Lieferzeitalter übersetzen. Also das, was Gorillas, Flink oder Getir für den normalen Wocheneinkauf im Supermarkt schon seit Jahresanfang bieten. Bis nächste Woche entsteht mit Sicherheit schon ein neuer Anbieter. Wie nachhaltig dieser Wettlauf ist, bleibt erst mal egal. Der Konsument wird umerzogen.

Am häufigsten kommt Salamipizza

Mehr als sechs Millionen Deutsche bestellten 2020 mehrfach im Monat Essen beim Lieferservice. 16 Prozent der Deutschen bestellen mindestens einmal im Monat. Die Tendenz steht weiterhin auf Wachstum. Knapp 37 Millionen Lieferservice-Nutzer gibt es aktuell in Deutschland. Eine ganze Menge. Aber auch noch viel Luft nach oben für eine Branche, die vor allem von der Bequemlichkeit lebt.

Kunden wollen die Ware von der Couch aus bestellen, bargeldlos bezahlen und möglichst schnell vor der Haustür haben. Nicht mehr erwünscht: Aufstehen, Ausgehen, Tische reservieren, vom Kellner hören: „Sorry, nur Bar“. Am häufigsten lassen sich die Deutschen übrigens Pizza liefern. Jede Fünfte ist mit Salami belegt. Dahinter verbirgt sich ein Milliardenmarkt. Der erwartete Umsatz im laufenden Jahr: zweieinhalb Milliarden Euro. Das wissen immer mehr Händler.

Geliefert wird deshalb nicht mehr nur Pizza und der lästige Supermarkteinkauf. Auch der Getränkehandel schwenkt zum Beispiel auf Lieferservice um. Genauso wie Apotheken. Sollten Sie spontan einen Blumenstrauß brauchen, gibt es auch dafür den passenden Dienst in ihrer Stadt. Den Anbietern geht es längst nicht mehr nur um den Verkauf der Ware, sondern um die Veränderung unseres Kaufverhaltens. Die Umerziehung der Konsumenten ist in vollem Gange.

Kaviar im Bentley

Da Sie Business Beast lesen, kennen Sie mit Sicherheit auch das folgende Problem: Der Kaviar ist schneller alle als man denkt. In Hamburg liefert ein Notdienst 24/7 Nachschub. Statt Würfel auf Fahrrad wird ein Bentley geschickt. Je nachdem, wie der Abend sich entwickelt, könnten Sie bald darauf das ToyTaxi rufen. Es kommt direkt aus St. Pauli. Oder sie rufen den „Soulbus“. Der liefert Livemusik an Haustür, Balkon oder in den Garten.

Kuriositäten, die nicht vergessen lassen sollten, dass sich die Giganten auf dem Markt einen beinharten Kampf um Marktanteile liefern. Gorillas, das Lebensmittel innerhalb von 10 Minuten an Haushalte ausliefern will, sammelte in der vergangenen Woche eine Milliarde US-Dollar von Investoren ein. Die sind keine Unbekannten: der Liefergigant Delivery Hero (steht selbst vor einer Rückkehr auf den deutschen Markt) und das chinesische Internetunternehmen Tencent.

Konkurrent Flink (liefert genauso schnell) hat seit Jahresbeginn Risikokapital im dreistelligen Millionenbereich eingesammelt und ist eine Partnerschaft mit REWE eingegangen. Der finnische Konkurrent Wolt hat sich mit Edeka verbündet. Man bringt sich in Stellung. Dabei darf man nicht vergessen: Über allem schwebt immer der Godfather aller Lieferungen – Amazon. Tochter Amazon Fresh liefert ebenfalls den Warenkorb aus dem Supermarkt.

Rentabilität total egal

Doch eher früher als später steht die Konsolidierung am Markt an. Dann geht es bei Uber Eats, Weezy oder Delivery Hero ans Eingemachte – und darum, wer wen aufkauft und wer überlebt. Wer dabei als Sieger hervorgeht, wird Herrscher über einen gigantischen Markt. Im ersten Jahr der Pandemie stieg der Online-Verkauf von Lebensmitteln um knapp 60 Prozent.

Bis dahin wird Geld im Hochofen verbrannt. Der Getränkelieferservice Flaschenpost setzte 2019 zwar fast 100 Millionen Euro um. Unterm Strich stand aber ein Verlust von 70 Millionen. Delivery Hero, seit 2020 Dax-Konzern, betreibt, kauft und verkauft weltweit Lieferdienste und erwirtschaftete in der gesamten Firmengeschichte seit 2011 noch keinen Gewinn. Gorillas verkauft manche seiner Waren sogar noch zu niedrigeren Preisen, als das Unternehmen selbst dafür bezahlt. Am Ende überleben nur ein paar der Dienste, wenn überhaupt.

Die perfekte Infrastruktur

Denn es ist noch nicht mal klar, ob die Lieferanten überhaupt profitabel werden können. Die Margen im Onlinehandel mit Lebensmitteln sind winzig. Und die Unternehmen versuchen sich an nichts Geringerem als einer logistischen Meisterleistung. Um die Lieferzeiten extrem niedrig zu halten, brauchen sie ein großes Netz aus Zentrallagern, die dauernd kleinere lokale Lager beliefern. Dabei müssen sie nicht nur die Fläche und die Lieferrouten perfekt optimieren, sondern sogar noch andauernd voraussagen, welche Produkte gerade nachgefragt werden.

Um Profit geht es derzeit keinem der Akteure. Das Stichwort lautet Wachstum. Um jeden Preis. Gewinn oder Verlust sind reine Nebensache. Auch was eigentlich geliefert wird. In Wahrheit geht es um den Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur, die in der Lage ist, innert weniger Augenblicke jeden Kundenwunsch zu erfüllen. Hocheffizient und dezentral. Sie ist der heilige Gral der Lieferbranche. Wer sie am besten entwickelt, triumphiert. In manchen deutschen Städten kommen dafür testweise schon Roboter zum Einsatz. Das Unternehmen Starship Technologies setzt weltweit bereits mehr als eine Million Lieferroboter ein.

Doch weil sich selbst mit der besten Lieferkette nur schwer Geld verdienen lässt, haben die Lieferanten noch einen Trumpf im Ärmel: ihre Daten. Zum Geschäftsmodell der Lieferanten gehört auch das Sammeln von Information. Sie ermitteln rund um die Uhr, wer an welchem Ort und um welche Uhrzeit bestellt. Welche Kaufkraft er hat. Was seine Vorlieben sind. Eine riesige Datenmenge – die der wahre Schatz der Lieferanten ist und einen stolzen Preis hat. Sie wird den Diensten ihre Margen liefern.

Also einfach zu Hause bleiben

So bleibt es spannend auf dem Markt. Mittlerweile gibt für alles einen Lieferdienst und jeden Tag kommen Neue hinzu. Das heißt auch: jeden Tag weniger Gründe, um noch einen Fuß vor die Haustür zu setzen. Denn noch bequemer als sich das Essen bargeldlos per Fingerwisch liefern zu lassen, ist ja daheimbleiben. Die Wohnung ist schließlich teuer genug. Und wer ständig unterwegs ist, nutzt seine Wohnung kaum aus. Das wird auch nach der Pandemie noch gelten. Fürs draußen sein zahlt man schließlich keine Miete. Nur zu, lass kommen, Kumpel!

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