Lohnen sich die deutschen Milliarden für Europa?

Hans Eichel, Schröders Mann für die Zahlen. Als Bundesminister der Finanzen verantwortete er von 1999 bis 2005 den Politikbereich, um den sich heute alle reißen. Den deutschen Haushalt, die Steuerpolitik und die in diesen Zeiten immer wichtigere europäische Finanzpolitik. Im Interview mit Business Beast spricht er über Deutschlands Beitrag zur EU und warum Deutschland bis heute einer ihrer größten Profiteure ist.

Business Beast: Herr Eichel, die deutsche Wirtschaft ist vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Das spiegelt sich auch im deutschen Beitrag für den EU-Haushalt wider. In diesem Jahr wird Deutschland rund 38 Milliarden Euro nach Brüssel überweisen, das sind rund 6,1 Milliarden Euro mehr als im vergangenen Jahr. Also ein Plus von mehr als 19 Prozent. Ist dieses Geld gut angelegt?

Hans Eichel: Auf jeden Fall! Deutschland zahlt ja relativ zu seiner Wirtschaftskraft genauso viel wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten. Allerdings gibt es für Deutschland wie für einige andere Nettozahler auch einen kleinen Beitragsrabatt. Übrigens zahlen zum Beispiel auch Frankreich und Italien mehr in den EU-Haushalt, als sie herausbekommen. Und dieses Jahr zahlen sowieso alle deutlich mehr, weil der Nettobeitrag Großbritanniens auf alle umgelegt wird.

Trotzdem bleibt Deutschland der größte Nettozahler. Würde ohne deutschen Beitrag ein Kollaps der EU drohen?

Die Frage setzt voraus, dass Deutschland die EU zuvor verlässt. Das verbietet aber das Grundgesetz. Präambel und vor allem Artikel 23 sind da ganz klar. Ohne Deutschland und ohne Frankreich gäbe es überhaupt keine EU. Sie ist gewissermaßen um die deutsch–französische Aussöhnung herum gebaut worden.

Aber was hat der deutsche Steuerzahler wirklich davon, wenn so viel Geld in die EU fließt? Lohnen sich die deutschen Milliarden für Europa?

Eindeutig. Das ist zwar jährlich immer etwas verschieden, aber etwa 40 – 60 Prozent des deutschen Beitrags fließen nach Deutschland zurück. Besonders in die Bereiche Landwirtschaft und Forschungsförderung. Deutschland liegt mitten in Europa und profitiert sehr stark von der EU. Das haben beispielsweise Bertelsmann-Stiftung und Prognos nachgewiesen. Besonders profitieren wir vom Zuzug von Arbeitskräften aus Südosteuropa. Ohne sie wären unser Wirtschaftswachstum und damit auch unsere Steuereinnahmen geringer. Außerdem ist in Deutschland zu beobachten, dass die Entwicklung sich vor allem auf die Ballungszentren konzentriert. Damit die peripheren Gebiete, also zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, nicht zurückbleiben, leisten wir im Finanzausgleich umfangreiche Zahlungen an diese Gebiete. Das gibt es so ausgeprägt in Europa nirgendwo sonst.

Welche Rolle spielt der EU-Binnenmarkt für die deutsche Exportstärke und damit den deutschen Wohlstand?

Ganz einfach: Mehr als die Hälfte unseres Exports geht in den europäischen Binnenmarkt. Das waren im vergangenen Jahr Ausfuhren für mehr als 600 Milliarden Euro. Ein Viertel aller Arbeitsplätze in Deutschland hängt am Export. Es ist also ganz klar. Diese Exporte tragen stark zu unserem Wohlstand bei. Vom Binnenmarkt der EU profitiert Deutschland enorm.

Wie nachhaltig sind also die deutschen Rekordzahlungen an Brüssel?

Zunächst einmal, viele Mitgliedsstaaten leisten Rekordzahlungen. Und ein geeintes und prosperierendes Europa, in das Deutschland eingebettet ist, mit einem der weltgrößten Binnenmärkte, stärkt unsere gemeinsame Position als Normsetzer im Welthandel. Mit einem einigen Europa sind wir sehr viel einflussreicher in der Welt, als wenn wir alleine dastünden. Und wir sind viel weniger angreifbar. Also ist unser Beitrag zum europäischen Haushalt nachhaltig. Übrigens haben das alle deutschen Bundeskanzler seit Konrad Adenauer so gesehen.

Herr Eichel, vielen Dank für das Gespräch.


Die Fragen stellte Maxim Zöllner-Kojnov.

Bild „Hans Eichel“ von Tobias Goldkamp unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0 via Flickr.

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