Marlboro-Land ist abgebrannt

Leo Burnett war der Werbepapst. Mitte der 60er lud er alle Raucher ins Marlboro-Country ein. Bis heute weiß niemand, wo das sein soll. 60 satte Geschäftsjahre später will sich die Marlboro-Mutter Philip Morris International demnächst vom Tabakbusiness verabschieden und ausgerechnet zum Healthcare-Konzern mutieren. Sagen die Manager. Vielleicht. Ein bisschen. 

Rauchen ist nicht mehr angesagt. Es kann zwar immer noch attraktiv aussehen, ist aber einfach zu ungesund. Diese Tatsache wurde Mitte des vergangenen Jahrhunderts allgemein bekannt. Danach vergingen aber noch Jahrzehnte, in denen Tabakkonzerne, Gesundheitsaktivisten, zunehmend auch Regierungen, um die Deutungshoheit rangen. Der Raucher selbst stand meist am Rande dieses Schauspiels – und zog sich lieber auf eine Zigarette zurück. In der jüngsten Vergangenheit auch gerne in eine Art am Boden aufgemaltes Raucher-Biotop. Er konnte sich sicher sein, dass er zumindest dort seine Ruhe haben würde.

In Fußgängerzonen und Einkaufszentren ist es vorbei mit der ruhigen Zigarette. Hier versucht eine Armee von Fußsoldaten mit Ständen den traditionellen Raucher von IQOS & Co. zu überzeugen. Bis in den letzten Winkel bepflastert sind die Trottoirs. Auch diese Werbung kennt mittlerweile jedes Kind. Verkündet wird der Menschheit die Zukunft des Rauchens – fast ohne Rauch. In Form von Tabakerhitzern.

Womit wir bei Philip Morris International wären, demweltweit führenden Konzern im Tabacchi-Business. In über 180 Märkten vertreten. Weltweit insgesamt 71.000 Mitarbeiter. Davon allein mehr als 400 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, die an der Forschung und Entwicklung rauchloser Produkte arbeiten.

Wellness statt Marlboro

Bitte was? Philip Morris International hat sich in den vergangenen Jahren offenbar ordentlich den Kopf zerbrochen. Über alles Mögliche. Herausgekommen ist eine Vision, die skeptisch macht. Zumal es sich um die Vision einer rauchfreien Zukunft handelt – ausgerechnet von einem Tabakkonzern. Man habe Bahnbrechendes vor, erklärt das Unternehmen: „Wir werden Zigaretten durch rauchlose Produkte ersetzen“. Details lassen sich übrigens in einem eigens entwickelten Manifest nachlesen, alternativ auch im sogenannten Statement of Purpose. Hier nur so viel: Der Konzern hinter der Marlboro-Marke strebt die größte Veränderung seiner Geschichte an. Lang genug sei man weltgrößter Tabakkonzern gewesen. Das neue Ziel: Man möchte gerne ein Unternehmen für Wellness und Gesundheit werden.

Der Marlboro-Hersteller habe die vergangenen Jahrzehnte genutzt und ein „starkes Verständnis für Aerosolisation und Atemwegstechnologie“ aufgebaut, heißt es. Zwar nicht das Erste woran man bei Tabakfirmen denkt, trotzdem einleuchtend. Und noch etwas zeichnet den Marlboro-Produzenten aus: reichlich Erfahrung darin, wie man „das Konsumentenverhalten ändert“. Man muss anerkennen, das klingt nach besten Voraussetzungen für die neue Bestimmung. Aber reicht das schon?

Diese Skepsis teilt das Unternehmen wohl selbst. Denn man hat aufgerüstet. Unlängst wurden zwei Pharmaunternehmen fürs eigene Portfolio eingekauft. Das dänische Unternehmen Fertin Pharma – spezialisiert auf „pharmazeutische Produkte, die oral eingenommen werden“ – für fast 700 Millionen Euro. Für knapp 1,2 Mrd. Euro gab’s die britische Firma Vectura. Eine Ausgründung der University of Bath, die Inhalationsgeräte und Medikamente für Menschen mit Asthma und anderen Lungenerkrankungen herstellt. Für Menschen also, die dem Philip-Morris-Konzern vielleicht schon längst als Kunden gewogen sind. Man meint es also wirklich ernst mit dem Schritt ins Medikamentengeschäft.

Warnung vor dem eigenen Produkt

Das weckt Interesse. Neben Manifest, Vision und Statement of Purpose stößt man auf der Firmenwebsite auch auf ein Interview mit dem CEO Jacek Olczak. Seit über 10 Jahren ist er schon an Bord. War CFO dann COO, seit Mai 2021 schließlich CEO. Auffällig: Er sieht weder aus wie ein CEO, noch wie ein Raucher. Zweiteres hat einen klar ersichtlichen Grund: Auch Jacek Olczak findet, dass Rauchen schädlich ist. Diese Botschaft will er allen mitteilen. Er gehört damit zu einer Minderheit von Unternehmenslenkern, die eine Warnung vor dem eigenen Produkt aussprechen.

Der geborene Optimist und ausgebildete Pragmatiker zeigt sich betrübt darüber, dass nur Wenige den Aussagen des Unternehmens Glauben schenken. Dabei betont er die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Fakten. Er weiß um den Einfluss, den sein Unternehmen auf die Gesellschaft hat, und ist ein viel beschäftigter Mann. Er möchte nichts Geringeres als eine rauchfreie Welt – und nebenbei seine gesamte Branche transformieren. Und dafür soll eben auch Phillip Morris eines Tages ein rauchfreies Unternehmen werden.

Die neue Strategie sieht so aus: Man unterscheidet künftig zwischen „combustible“ und „non-combustible“ Produkten. Also zwischen brennbaren und nicht brennbaren Produkten. Bereits im Jahr 2025 will Philip Morris International 50 Prozent seiner Einnahmen aus dem Geschäft mit nicht brennbaren Produkten erzielen. Damit wären wir wieder bei den Tabakerhitzern. Weil der Tabak in denen eben nicht verbrannt, sondern nur erhitzt wird, setzten sie im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten 95 Prozent weniger Schadstoffe frei. Gleichzeitig entstehen weder Ascheabfälle noch Glut. Auch der von vielen als unangenehm empfundene Geruch, der zwar für viele deutsche Kneipen in Bahnhofsnähe der Besuchsgrund Nr. 1 ist, fällt weg. Man lernt: Das Problem beim Rauchen ist die Verbrennung. Und Verbrenner müssen weg. Das kennen wir ja aus anderen Branchen.

Am besten gar nicht rauchen

Erhitzer sind die deutlich weniger gesundheitsschädliche Alternative zur Zigarette. Das sollen die Kunden endlich kapieren. Deshalb hat Philip Morris die Werbung für herkömmliche Zigaretten eingestellt. Das Marketingbudget fließt ausschließlich in Werbung für Tabakerhitzer. Selbst in Zigarettenschachteln klebt der Hinweis für eine neue Generation Rauchergenuss. Mit aller Kraft drängt man in den Markt. Vor fünf Jahren verdiente der größte Tabakkonzern der Welt noch keinen Cent mit den Geräten, die ein wenig so aussehen, als könnte man sein Handy daran laden. Im Jahr 2020 sicherten sie schon ein Viertel des Gewinns. Insgesamt verdiente man letztes Jahr an die 30 Mrd. US-Dollar.

Werden die Kunden das verstehen? Einerseits scheint die Kommunikation des Unternehmens klar: Am besten fängt man nie an zu rauchen. Hat man einmal damit angefangen, ist die beste Option, wieder damit aufzuhören. Was aber ist mit all den Menschen, die nicht aufhören wollen oder können. Für die hat man Tabakerhitzer im Angebot. Im Hause Morris ist man davon überzeugt, dass die Erhitzer die Lebensqualität der nach wie vor schmauchenden Frauen und Männer erhöhen.

Gleichzeitig arbeitet man im Hintergrund offenbar an einer Ära, in der auch Philip Morris nichts mehr mit Tabakkonsum verdienen wird. Mit einer eigenen Plattform für Inhalationsprodukte möchte man bereitstehen, wenn es so weit ist. Solche Geräte können zum Beispiel zur Verabreichung von Medikamenten genutzt werden. Oder von Schmerzmitteln, wenn eine Therapie noch nicht existiert. Potenzial wird auch in der Behandlung von Long-Covid erkannt. Wird man also doch viel schneller ein Health-Anbieter?

Was wird aus Audrey Hepburn?

Bei all dem bleibt die entscheidende Frage ständig unbeantwortet, ja sogar unausgesprochen. Wird es in 50, 100 oder 200 Jahren noch Tabakkonsumenten geben? Ob mit Zigarette, Erhitzer oder schniekem Inhalationsgerät. Hat eigentlich schon jemand überlegt, den IQOS und das iPhone zusammenzulegen?

„Smoke-free“ bleibt zunächst also vor allem wortwörtlich gemeint. Da Erhitzer keinen richtigen Rauch erzeugen, bleibt aber der Vertrieb von Tabakwaren der Kern des Geschäfts. Da bisher 75 Prozent des Gewinns noch aus klassischen Zigaretten stammen, bleiben auch die weiterhin im Angebot. Was auf den ersten Blick wirkt wie der Umstieg vom machiavellistischen Tabakfabrikanten zum symphytischen Pharmakonzern, erscheint in Wahrheit als der Umstieg auf die weniger schädliche Art zu rauchen. Kombiniert mit dem Angebot, die entstehenden Schäden an einem späteren Punkt der Kundenbeziehung gleich selbst zu behandeln. Motto: Du rauchst, wir behandeln, du rauchst weiter. All-in-One. Ganz im Zeitgeist.

Klassische Raucher wird man in Zukunft immer seltener sehen. Längst gehören Gestalten mit Zigarette im Mundwinkel zu einer aussterbenden Gattung. Das ist wirklich schade. Und ausgesprochen begrüßenswert. Wäre Frühstück bei Tiffany ein halbes Jahrhundert später gedreht worden, hätte Audrey Hepburn nicht so unwiderstehlich ein einer Zigarettenspitze gezogen. Das leise Knistern der Zigarette wäre nicht zu hören gewesen. Stattdessen hätte sie etwas Tabak erhitzt. Der IQOS hätte leise geröchelt.

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