Beraterlegende: „Grüne und FDP sind das Salz in der Suppe…“

Am 26. März ist die Bundesregierung 100 Tage im Amt. Die Herausforderungen sind außerordentlich – Zeit für eine Schonfrist gibt es nicht. Die schwere außenpolitische Krise im Osten Europas macht dies umso deutlicher. Roland Berger, Vater der Unternehmensberatung, hat die deutsche Wirtschaft über Jahrzehnte kennengelernt und mitgeprägt. Im Gespräch mit Business Beast blickt er auf die aktuellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen des Landes.  

Business Beast: Herr Berger, eigentlich wollten wir mit Ihnen über Wirtschaftspolitik und die neue Regierung sprechen. Doch das Weltgeschehen hat uns überholt. Blicken wir also zunächst gen Osten: Die deutsche Wirtschaft exportierte im vergangenen Jahr Güter im Wert von 26 Mrd. Euro nach Russland. Die Fortsetzung dieser Wirtschaftsbeziehungen steht nach den jüngsten Ereignissen infrage. Ist das für die deutsche Wirtschaft verschmerzbar?

Roland Berger: Diese 26 Milliarden Euro entsprechen genau 0,75 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Dazu kommt, dass die in Russland investierten und operierenden deutschen Unternehmen, wie Volkswagen oder Knauf ja weiter im Geschäft bleiben. Das ist also ein Opfer, das Deutschland wirtschaftlich verkraften kann.

Wie sieht es mit den deutschen Importen aus Russland aus?

Es stimmt, viel relevanter sind jetzt die Unterbrechungen oder der Abbruch der russischen Gas- und Öllieferungen nach Deutschland und die wahrscheinlichen Preiserhöhungen. Deren Substitution wird uns viel Geld kosten.

Bis zuletzt hat man versucht, einen militärischen Konflikt durch Sanktionen zu verhindern. Jetzt werden immer neue Sanktionen fällig werden. Kann sich Deutschland das auf Dauer leisten?

Angesichts der Schwere des russischen Völkerrechtsbruchs ist das ein Verzicht, den Deutschland als Teil der westlichen Wirtschaftssanktionen durchaus leisten kann. Voraussetzung ist natürlich eine vollständige solidarische Beteiligung aller westlichen Länder an diesen Sanktionen. Diese Geschlossenheit sehen wir zurzeit auch.

Blicken wir zurück nach Deutschland. Was sind die dringendsten wirtschaftlichen Herausforderungen, die von der neuen Bundesregierung hierzulande anzugehen sind?

Die wirtschaftlichen Ziele für die aktuelle Regierung sind klar. Erstens, Dekarbonisierung der Wertschöpfungsketten zum Klimaschutz. Zweitens, Digitalisierung und technologische Innovationen und drittens Modernisierung der Infrastruktur. Kurzum: Es geht um die Effizienzsteigerung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Die große Herausforderung liegt darin, dass alle Ziele miteinander zusammenhängen, sehr viel Geld kosten – und fast eine Verdoppelung der grünen Energieverfügbarkeit erfordern!  

Stichwort Dekarbonisierung. Haben Sie das Gefühl, diese Ziele werden auch gleich stark gewichtet?

Deutschland verursacht knapp zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das zeigt der direkte Einfluss Deutschlands auf das Weltklima ist sowieso begrenzt. Unser Beitrag müssen also vor allem die notwendigen Technologien und Innovationen zur Bewältigung der weltweiten Klimakrise sein. Alle drei Ziele müssen also ausgewogen gewichtet werden. Anders wird es nicht gehen.

Sie sagen selbst, diese Ziele kosten viel Geld. Wie kann das finanziert werden?

Diese drei Bereiche kosten unheimlich viel Geld. Allein die Infrastruktur ist wahnsinnig teuer. Auch weil das Thema in Deutschland zu lange versäumt wurde. Das muss jetzt nachgeholt werden. Da könnte man einiges erreichen, indem man zum Beispiel über Public-private-Partnerships und Privatisierung nachdenkt. Zum Beispiel bei staatlichen Beteiligungen an Großkonzernen wie der Deutschen Telekom. Die frei werdenden Mittel könnte man gezielt in Infrastruktur investieren – im Falle der Telekom beispielsweise in den Ausbau des nationalen 5G-Netzes und die Digitalisierung von öffentlichen Verwaltungen und Wirtschaft.

Also weniger staatliche Eingriffe und mehr private Initiative?

Die Regierung muss der Wirtschaft genug Luft zum Atmen geben. Das heißt, sie muss Investitionen erleichtern und fördern. Hier darf die Politik nicht überregulieren und unrealistische Zielvorgaben machen. Das braucht vor allem Bürokratieabbau. Sonst könnten wir schnell merken, dass wir bei vielen ambitionierten Zielen zurückbleiben. Zum Beispiel beim zukünftigen Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix oder den angestrebten 400.000 Wohnungen im Jahr. Bei den jetzigen Vorschriften, Regulierungen und Einspruchsrechten ist das unmöglich zu schaffen.

Unter Robert Habeck verfolgt das Wirtschaftsministerium das Ziel einer ökologischen, sozialen Marktwirtschaft. Doch als Wirtschaftsminister besteht seine Aufgabe gleichzeitig darin, deutsche Unternehmen zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern. Kann das zusammengehen?

Aus meiner Sicht sogar sehr gut. Es muss das Ziel von Robert Habeck sein, beide Ziele zu erreichen. Ich finde sogar ein Ministerium, das beide Bereiche, also Wirtschaft und Klima, miteinander kombiniert, eine wirklich kluge Idee. Habeck darf nur den marktwirtschaftlichen Teil der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft nicht vergessen. Eine adäquate CO2-Bepreisung ist effektiver als irrationale Zielvorgaben beim Umweltschutz. Das heißt auch da, wo es sinnvoll ist, Anschubfinanzierungen für Klimaschutz- und Technologie-Investitionen zu leisten.

Sie meinen Subventionen?

Ja, allerdings muss man dabei natürlich aufpassen, dass es keine Dauersubventionen werden und es langfristig nicht zu viele Mitnahmeeffekte gibt. Diese Initiativen müssen schnell Markt und Wettbewerb übertragen werden.

Aber um die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft langfristig sicherzustellen, sind nicht Subventionen, sondern Investitionen notwendig. Wo besteht Ihrer Meinung hierzulande der größte Bedarf?  

Subventionen für Anfangs-Investitionen – darum geht es! Zunächst einmal gibt es hierzulande ganz natürliche Schlüsselbranchen, wo wir zu den Weltmarktführern gehören. Die Automobilindustrie, Maschinen- und Anlagenbau oder die Chemie. Und wir haben in diesen Industrien einen relativ gesunden Mix aus Großkonzernen auf der einen Seite und mittelständischer Zulieferindustrien auf der anderen Seite. Beide muss man erhalten und fördern. Das gilt vor allem beim Thema Innovation und Digitalisierung. Das ist einerseits die Aufgabe der Wirtschaft. Aber auch der Staat muss hierbei etwa durch Innovationstransferstellen unterstützen.

Wirtschaftsinteressen und Umweltschutz stehen oft im Widerspruch zueinander. Das könnte auch die Ampel-Koalition gefährden. Worauf wird es ankommen, wenn die Koalition lange halten und erfolgreich sein soll?

Ehrlich gesagt, ich sehe diesen Widerspruch nicht. Man muss doch klar sagen, die Wirtschaft hat den Umweltschutz als gesellschaftliches Ziel längst angenommen und sieht im Umweltschutz sogar eine große Chance. Technologie und Innovation müssen unser weltweiter Beitrag sein. Das fordert auch den schon starken deutschen Export.

Grüne und FDP, Robert Habeck und Christian Lindner: also ein Dream-Team?

Ich glaube, dass Herr Habeck und Herr Lindner in einer ganz vernünftigen Art und Weise zusammenarbeiten können. Das sind beides kluge Köpfe, die ihr Handwerk verstehen. Beide sind jung und sehr lernfähig. Die Kombination könnte wirklich fruchtbar sein und gerade als Ampel gut funktionieren. Die Grünen und die FDP sind das Salz in der Suppe der Koalition.

Was ist dann die SPD?

Im Vergleich zur FDP und den Grünen vor allem eine gestrige Partei. Das sieht man nicht zuletzt an der Wählerstruktur. Hier mache ich mir die meisten Sorgen. Für die Zukunft unseres Landes ist ziemlich wichtig, dass zum Beispiel Hubertus Heil die Sozialkosten nicht ins Unendliche treibt. Die Gefährdung der Ampel kommt also viel mehr vonseiten der SPD.

Aber sie stellt immerhin den Kanzler…

… und ich finde, dass er sich aus der Wirtschaftspolitik eher zurücknehmen sollte. Seine Aufgabe ist hierbei die eines Moderators. Zum Beispiel, wenn es zwischen den verschiedenen Parteien wirklich mal kracht. Das könnte vor allem dann passieren, wenn der SPD die marktwirtschaftliche Orientierung abhandenkommt.

Herr Berger, vielen Dank für das Gespräch.


Die Fragen stellte Maxim Zöllner-Kojnov.

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