Rücktritt – eine Frage der Ehre

Was ist politische Verantwortung? Dies: Im Fall eines Scheiterns, Versagens, erwiesenen Unvermögens stellt sich der zuständige Minister den Konsequenzen und übernimmt die Verantwortung, obwohl er persönlich nicht haftbar ist. Die noble Geste zeigt die ethische Verfassung an der Spitze eines Gemeinwesens. 

Dazu folgende Richtigstellung: 

Als Anfang 2020 Corona auftauchte, ergriff die Bundesregierung Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung: Abstand halten, Masken tragen, Hände waschen, Einschränkung der Kontakte. Man hoffte auf den Impfstoff. 

Der kam, u.a. aus Deutschland, und wurde von der EU bestellt. Zu spät, zu wenig, zu langsam. In der Zwischenzeit starben Menschen – in Deutschland 80.000 an oder mit Corona. Verantwortlich für das Bestelldesaster: EU-Chefin von der Leyen. Rücktritt? Wie bitte? Fehlanzeige.

In Deutschland beherzigte Minister Spahn Kanzlerin Merkels Absage an „Impfnationalismus“ – welch ein Fehler! Aber Rücktritt? Kein Thema. Stattdessen wurde auf Maskenhändler verwiesen, Pandemie-Profiteure und auf Prügelknaben dienten Leute wie Fleischproduzent Tönnies, weil bei dem angeblich die Lüftung nicht funktioniert habe. Falschbeschuldigen, eigenes Versagen vertuschen, bemänteln – so ist Politik heute.

Das war mal anders: 1978 trat Verteidigungsminister Leber zurück, weil seine Sekretärin ohne sein Wissen abgehört worden war. 1993 übernahm Innenminister Seiters die Verantwortung für einen Mord an RAF-Terroristen, der keiner war. Er war, wie man mittlerweile weiß, eine „Spiegel“-Erfindung. 

Und heute? Bittet der Bundespräsident: „Verlieren wir uns nicht in Schuldzuweisungen.“ Aufklärung ist also nicht gewünscht. 

Der Rücktritt mithin eine Frage der Ehre.

Diese Kolumne erschien ursprünglich in Euro am Sonntag. WMP-Vorstand Hans-Hermann Tiedje schreibt dort jeden Sonntag über Politik und Gesellschaft.

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