Stadt in den Wolken: Zukunft oder Horror?

Über Cloud Valley geht die Sonne auf. Noch schlafen die Bewohner der chinesischen Stadt. TITAN, ein virtueller Housekeeper, ist längst damit beschäftigt, das Frühstück zusammenzustellen, das Outfit auszuwählen, das Wetter zu checken. Im voll automatisierten Auto geht es zur Arbeit…

Überall auf der Welt entstehen Städte der Zukunft. Ihre Entwürfe könnten nicht unterschiedlicher sein. Doch alle strotzen vor Selbstbewusstsein. Ihr Ziel: die urbane Zukunftsvision schon heute erschaffen. Der Mensch ganz im Zentrum. Bewohner und Umwelt in perfekter Symbiose. Was Architekten und Stadtplaner sich da ausdenken, ist zugleich Verheißung und Zündstoff. Gelingt, was sie vorhaben, macht die Menschheit einen Sprung. Verfehlen sie ihre Ansprüche, droht ein Desaster. Ein Blick auf die außergewöhnlichsten Projekte dieser Welt.

Soloprojekt in Afrika

R&B-Sänger Akon hat ein ambitioniertes Ziel. Es heißt „Akon City“. Ungeachtet dessen, dass gerade mal ein Drittel der benötigten Finanzmittel eingetrieben ist, arbeitet er an dem Stadtprojekt rund 100 Kilometer von Senegals Hauptstadt Dakar entfernt. Inklusive eigener Kryptowährung: dem „Akoin“. Der wird seit Ende letzten Jahres tatsächlich gehandelt, getestet und soll mit Fertigstellung der Stadt exklusives Zahlungsmittel werden.

Der Rapper will eine grüne Hightech-Stadt errichten. Sie soll dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen und Wirtschaftswachstum in der Region stimulieren. Gleichzeitig soll sie Tourismuszentrum werden. Das Problem der Übersiedlung in den urbanen Zentren des Senegals und besonders in den Slums um Dakar wird „Akon City“ kaum lösen können. Und: Der größte Teil der senegalesischen Bevölkerung kann sich ein Leben dort nicht leisten.

Am Ende nur Brachland?

Noch ist vollkommen unklar, ob die Stadt überhaupt einmal Menschen beherbergen wird und wie viele der großspurigen Pläne umgesetzt werden. Die erste Bauphase soll schon 2023 fertig sein, bis 2029 schließlich die Zweite abgeschlossen werden. Private Investitionen sind für die Fertigstellung dringend willkommen. Dafür soll „Akon City“ Sonderverwaltungszone werden, inklusive steuerlicher Erleichterungen.

Die Stadt soll auch Wegbereiter der emissionsfreien Zukunft werden. Voll digitalisiert und vollkommen nachhaltig. Angesichts von Tausenden Tonnen Stahl und Glas, die aus dem Boden gestampft werden, könnten diese Ambitionen auf der Strecke bleiben.

Spannend wird auch die Entwicklung von Akons Franchise-Projekten. Denn für Akon City ist der erste Ableger geplant, in Uganda. Ähnliche Projekte gab es schon in Form der „Hope City“ in Ghana oder von „Konza City“, einer Art Silicon Valley in der kenianischen Savanne. Sie wurden bisher nicht fertiggestellt – und werden es vielleicht auch nie. Im Jahr 2018 hatten erst 44 Prozent der senegalesischen Landbevölkerung Zugang zur Stromversorgung.

Sandwunder in der Wüste

Allerlei persönliche Assistenzsysteme und mehr Roboter als Menschen soll es einmal in der futuristischen Stadt „The Line“ geben. Ab 2025 könnten auch die ersten Menschen in Saudi-Arabien dort einziehen. Sie soll eine 170 km lange, von Windrädern und Oasen gesäumte Linie werden, die sich vom Roten Meer ins Landesinnere erstreckt, so die Bauherren. Anfang dieses Jahres war offizieller Baubeginn.

Ein veraltetes Konzept der Städteplanung sei diese Idee, meinen Kritiker. Als umweltfreundliches und nachhaltiges Idyll preisen es die Befürworter. Eine Stadt als Linie könnte ungeahnte Chancen bei der Mobilität bieten. Solar- und Windparks sowie Wasserstoffkraftwerke sollen die Stadt mit der notwendigen Energie versorgen. 100 Prozent sauber und nachhaltig, heißt es. Und Energie wird „The Line“ brauchen. Denn die Stadt will wahr machen, wovon Grüne hierzulande nur träumen können: die vollständige Autofreiheit.

Laut Plan wird der oberirdische urbane Raum Fußgängern und Radfahrern vorbehalten sein. Für alles, was weder zu Fuß noch per E-Rad erreichbar ist, wird es in „The Line“ eine unterirdische Megainfrastruktur – samt Hochgeschwindigkeitszug, Lieferlogistik oder Müllabfuhr geben. Die Fahrt von einem Ende der Stadt zum anderen soll so weniger als eine halbe Stunde dauern. Alle anderen Orte des Alltags sollen die Bewohner innerhalb nur weniger Minuten erreichen.

Vollvernetztes Millionengrab

Dafür ist sie hochvernetzt, nutzt die Kraft der künstlichen Intelligenz. So soll sich „The Line“ von selbst vorausplanen können und damit eine zivilisatorische Revolution werden. Nicht nur baulich. Innerhalb des saudischen Königreiches soll die geplante Megacity, die irgendwann mal einer Million Menschen als Wohnort dienen soll, eine Sonderverwaltungszone bilden – mit Steuererleichterungen und eigenen Gesetzen. Man hofft, die Stadt für potenzielle Bewohner aus dem Ausland attraktiver zu machen. Nicht zuletzt wegen des schweren Stands in der Weltgemeinschaft, der anhaltenden Corona-Pandemie, dem stark eingeschränkten Tourismus. Ob „The Line“ je fertig gebaut wird – und ob Menschen dort je wohnen werden, weiß nur der Sand in der Wüste…

Toyotas riesiges Forschungslabor

Deutlich näher an der Wirklichkeit erscheinen die Pläne für die japanische „Woven City“. Am Fuße des Fujiyama plant der weltgrößte Autobauer Toyota seine eigene Stadt der Zukunft. Im Februar 2021 wurde der Grundstein gelegt. Seither laufen die Bauarbeiten an einer Stadt, die mehr als nur Wohn- und Arbeitsplatz sein soll. Sie soll vielmehr ein Testlabor werden, das dem Konzern hilft, innovative Technologien in der Realität zu erproben und dadurch neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Auf 175 Hektar (so groß wie 175 Fußballfelder) soll am Ort einer stillgelegten Autofabrik eine vollvernetzte Stadt entstehen. Die Gebäude werden hauptsächlich aus Holz errichtet, die Dächer mit Fotovoltaikanlagen ausgerüstet und Brennstoffzellen zur Stromerzeugung verbaut.

Auch „Woven City“ setzt auf eine unterirdische Infrastruktur, etwa um Wasserstoff zu speichern und den Transport von Waren zu organisieren. In Fragen der Mobilität kann Toyota seine ganze Expertise nutzen. Zum Einsatz sollen Toyotas eigene autonome Gefährte kommen. Angedacht sind deshalb unterschiedliche Straßentypen: einer für schnelle, einer für langsame Fahrzeuge und für Fußgänger. Auch die Häuser sind smart. KI soll in der Lage sein, die Kühlschränke in den Wohnungen zu befüllen oder den Müll zu entsorgen.

Smart-City-Weltmeister China

Allein in China entstehen derzeit knapp 500 sogenannter „Smart Cities“, oft in Zusammenarbeit mit großen Technologieunternehmen. „Cloud Valley“, die Stadt mit dem virtuellem Housekeeper TITAN soll gleichzeitig der Firmensitz der Terminus Group werden. Das Unternehmen betreibt auch die Entwicklung der Stadt. Der chinesische Internetgigant Tencent plant mit „Net City“ seine eigene autofreie Stadt in der Nähe von Shenzhen.

Das verwundert kaum. Denn schließlich kann man solche Städte auch für die dauerhafte und nahtlose Überwachung der eigenen Bürger nutzen. Zudem unterstützt China im Ausland tatkräftig bei ähnlichen Bauvorhaben. Die Volksrepublik bietet Hilfe bei der Finanzierung oder beteiligt sich an der Umsetzung. So ist das zum Beispiel beim nigerianischen Megaprojekt „EKO Atlantic City“. Dort wurden neue Areale mit riesigen Mengen Sand im Atlantik aufgeschüttet und gläserne Wolkenkratzer inklusive neuem Finanzzentrum geplant. Auftragnehmer für den Bau ist dort auch die „China Communications Construction Group“. Ein Unternehmen, das vom Pentagon mittlerweile als Militärunternehmen gelistet wird.

Fantasie in 3D

Architekten aus aller Welt überbieten sich mit fantasievollen Stadtkonzepten. Doch was sie im 3D-Modell präsentieren und mit sonorer Stimme untermalt als Werbespot um die Welt schicken, muss nicht Realität werden. Irgendjemand hat sich auch eine schwimmende Stadt vor Haiti ausgedacht, Dubai tüftelt an einer eigenen „Sustainable City“. Wer’s glaubt…

Titelbild via Pexels

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