„Wir werden China nicht verändern können“

Heinrich von Pierer, von 1992 bis 2005 Vorstandsvorsitzender der Siemens AG und zwischen 2005 und 2007 deren Aufsichtsratsvorsitzender, war Gründungsvorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und später Leiter des Rats für Innovation und Wachstum. Im Gastbeitrag für Business Beast schreibt er, die deutsche Wirtschaft werde China gesellschaftlich und politisch nicht verändern. Deutschland sieht er hingegen in der Vorbildrolle.

Ein Gastbeitrag von Heinrich von Pierer.

Historische Leistung

„Lasst einige Leute reich werden, dann werden wir weitersehen!“. So soll sich Deng Xiaoping geäußert haben, als er in China nach der schlimmen Mao-Zeit mit gewaltigen Hungersnöten und vielen Millionen Toten die „Sozialistische Marktwirtschaft“ ausrief. Also einen Staatskapitalismus mit marktwirtschaftlichen Elementen.

Die Erfolge, die in den letzten vier Dekaden erzielt worden sind, können sich sehen lassen. China hat sich zur zweitgrößten Volkswirtschaft hinter den USA entwickelt. 600 Millionen Menschen wurden aus der absoluten Armut befreit, eine einmalige historische Leistung. Auch die 6000 in China vertretenen deutschen Unternehmen profitierten von dieser beeindruckenden Entwicklung, darunter ganz besonders die deutschen Automobilgiganten VW, BMW und Daimler.

Wachsende Unruhe

Doch das schöne Bild des nicht zu bremsenden Aufstiegs hat Risse bekommen. In letzter Zeit verfestigt sich der Eindruck, dass das Land wieder an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt sein könnte.

Die von Deng gewährte Freiheit hat, wie eine Forbes Studie zeigt, 600 Milliardäre hervorgebracht, fast so viele wie in den USA. In einem kommunistischen System wohlgemerkt! Dazu gewaltige Tech-Riesen wie Alibaba, Tencent oder WeChat. Die enormen Unterschiede zwischen Arm und Reich und besonders die exzessiven Gehälter der Spitzenleute schaffen Unruhe.

Die mächtigen Wirtschaftsführer, besonders Jack Ma von Alibaba, haben sich auch noch erdreistet, der Führung in Peking unerwünschte Ratschläge zu geben. Das war zu viel. Jetzt hat der auf Lebenszeit ernannte Staatspräsident, Oberster Militärbefehlshaber und Parteisekretär Xi Jingping einige Kontrapunkte gesetzt.

Die kommunistische Partei will Macht und Einfluss nicht verlieren. Jack Ma gab von seinem Reichtum etwas ab und überwies „freiwillig“ 13 Milliarden Dollar „für Zwecke des Gemeinwohls“. Der Bezahldienst Alipay, das chinesische Pendant zu Paypal, wurde aufgespalten und teilweise unter staatliche Kontrolle gestellt. Mit der möglicherweise sogar gewollten Nebenwirkung, dass die gespeicherten personenbezogenen Daten beim Staat landen.

Konfrontation bleibt teuer

Chinas Kalten Krieg mit der zu mächtig gewordenen Wirtschaft nannte das die FAZ. Neuen Absolutismus der Report einer großen deutschen Bank. Vor diesem Hintergrund werden die Zeiten für ausländische Unternehmen, auch die deutschen rauer. Das gestiegene chinesische Selbstbewusstsein und der wachsende wirtschaftliche, politische und nicht zuletzt militärische Einfluss des „Reichs der Mitte“ steigern die Konfrontation mit den USA.

In den deutschen Unternehmen geht die Sorge um, im zunehmend angespannten Konflikt zwischen den USA und China zu einer Richtungsentscheidung gezwungen zu werden: Kein Geschäft mehr auf dem immer noch größten Markt der Welt, den USA, für die, die in China aktiv bleiben.

Doch China und die USA sind trotz allem De-Coupling viel zu eng miteinander verbunden, um einen solchen radikalen Schritt der USA in absehbarer Zeit wahrscheinlich werden zu lassen. Immerhin beträgt das gegenseitige Handelsvolumen riesige 650 Milliarden Dollar. Da kommt man nicht ohne gewaltigen eigenen Schaden heraus.

Deutschland als Vorbild

Wir werden das gesellschaftliche und politische System in China nicht verändern können. Der so umsichtig formulierende Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Siegfried Russwurm, hat das als „verantwortungsvolle Koexistenz“ benannt.

Konkret heißt das: Im eigenen Einflussbereich, also in den eigenen Werken, Zwangsarbeit und Kinderarbeit und allgemeiner jede Form der Diskriminierung vermeiden und so eine Vorbildfunktion entwickeln. Aber er hat auch klar für ein „level playing field“ plädiert. Also den freien Marktzugang nicht nur für die Chinesen bei uns, sondern auch umgekehrt für unsere Unternehmen in China.

Wettbewerbsfähigkeit nur durch Innovation

Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass ein hoffentlich stärker werdendes Europa mit China im Wettbewerb steht, auf anderen Feldern die Kooperation suchen wird und auch gelegentlich die Konfrontation nicht vermeiden darf.

Erfolgreich werden wir dabei auf Dauer nur sein, wenn wir weiter, man könnte auch vorsichtiger formulieren: „wieder“ unsere Innovationskraft stärken und technologische Spitzenpositionen einnehmen. Andernfalls werden wir bald weder in China, noch auf der Welt eine einflussreiche Rolle mehr spielen.

Ohne Frage: Für die deutsche Wirtschaft ist die Betätigung in China riskanter geworden. Der angestrebte „Wandel durch Handel“ ist zumindest vorerst aus dem Blickfeld geraten. Aber den chinesischen Markt aufzugeben, ist ganz bestimmt auch keine Lösung, und das Gebot, kaufmännische Vorsicht walten zu lassen, ist auch nichts Neues!

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