Was haben 16 Jahre Angela Merkel Deutschland gekostet?

Thilo Sarrazin im Interview mit Business Beast.

Business Beast: Ihr neues Buch heißt „Wir schaffen das“. Ist das Ironie oder Utopie?

Thilo Sarrazin: Die Anführungszeichen zeigen, dass es ein Zitat ist. Und sie zeigen zugleich, dass ich mich vom Inhalt des Zitats distanziere. Damit ist es auch eine Kurzfassung meiner Distanzierung von der Politik Angela Merkels. Da sie im Laufe ihrer Regierungszeit bestimmte – für die Politik typische – Fehler machte, ist es auch ein sehr guter Titel für das gesamte Buch. Vor allem im Zusammenhang mit dem Untertitel „Erläuterungen zum politischen Wunschdenken“. Wenn man meint, es würde schon irgendwie alles klappen, wenn man nur erst mal anfängt – damit beginnt ja meistens das politische Unheil dieser Welt.

Was ist Ihr moralischer Anspruch an Politik? 

Ich habe keinen moralischen Anspruch an die Politik als solche, sondern viel mehr an den handelnden Politiker. Nämlich, dass er sich ernsthaft darum bemüht, die Probleme, für die er politisch zuständig ist, wirklich inhaltlich zu verstehen. Das bedeutet natürlich Arbeitseinsatz, aber auch geistigen Einsatz. Er muss sich letztlich darum bemühen, bei der Kompromissfindung vernünftig abzuwägen, dann auch daran festhalten und den Bürgern gegenüber ehrlich sein.

Im neuen Buch behandeln Sie auch das Verhältnis von Politik und Eigenschaften wie Treue, Intelligenz oder Freundschaft. Über Vertrauen schreiben Sie nicht. Gibt es das in der Politik überhaupt?

Es kommt ganz darauf an, wie man die Dinge abgrenzt. Vertrauen ist eher eine Frage der Moral. Vertrauen ist natürlich auch enthalten, wenn man politische Freunde hat. Ich sage nur Stichwort Söder und Laschet. Ich kenne deren Innenverhältnis zwar nicht, aber sehe, wie sie öffentlich miteinander umgehen. Das zeigt die ganze Doppelbödigkeit von Freundschaft und Vertrauen in der Politik. Aber auch beim Thema Treue ist es enthalten. Vertrauen ist weniger ein operativer Begriff. Aber natürlich – und das zeigt sich auch an Angela Merkel – tut der Bürger gut daran, politischen Versprechungen nicht zu vertrauen. Die Kanzlerin hat im Laufe ihrer Amtszeit ständig das Gegenteil ihrer eigenen Ankündigungen getan. Das belege ich ja auch im Detail. Deshalb sollte der Bürger mit seinem Vertrauen in die Politik stets sparsam umgehen.

Nach 16 Jahren Angela Merkel stellen sich viele Fragen. Unter anderem: Was hat ihre Kanzlerschaft Deutschland gekostet?

Es ist natürlich nie einfach, solche Betrachtungen anzustellen. Wenn man so eine Frage wissenschaftlich vernünftig angeht, müsste man schauen, wo steht Deutschland heute wirtschaftlich? Wo steht es mit Blick auf bestimmte Abgaben? Wo stünde es bei einer besseren Politik, beispielsweise durch einen Bundeskanzler Friedrich Merz. Das kann man wissenschaftlich kaum zuverlässig feststellen. Ich bin das Ganze anders angegangen. Ich habe mir angeschaut: Was waren Angela Merkels einstige Ankündigungen? Sie hatte zum Beispiel im Wahlprogramm von 2005 angekündigt, sie wolle das deutsche Wirtschaftswachstum verstärken und die Produktivität erhöhen. Das ist schon mal nicht gelungen. Das Produktivitätswachstum war während der 16 Jahre Angela Merkel ausgesprochen anämisch. Die deutsche Wirtschaft wächst pro Jahr nur sehr langsam. Da gab es eher eine Verlangsamung als eine Beschleunigung. De facto also einen Verzicht auf Wohlstand. Ähnliches gilt für eine damals angekündigte Steuerreform. Das Gegenteil ist geschehen. Auch von gewaltigen Zinseinsparungen wurde nichts an den Bürger weitergegeben. Stattdessen erlebten wir ständig steigende Abgabenquoten. Gleichzeitig wuchs der Staatssektor weiter an. Ich lege das in meinem neuen Buch ausführlich dar.

Nach „Deutschland schafft sich ab“ gab es großen Aufruhr. Das neue Buch ist vor allem eine nüchterne sachliche Analyse. Wollen Sie heute weniger polarisieren, dafür stärker überzeugen?

Wenn Sie „Deutschland schafft sich ab“ heute lesen, dann merken Sie, dass es ebenfalls eine absolut nüchterne und fachliche Analyse ist. Die damaligen Aussagen waren empirisch sehr gut belegt. Die empfundene Provokation lag ja nicht an meinen Texten und Analysen, sondern in der mangelhaften Bereitschaft der politischen Klasse und der sie unterstützenden Medien, sich mit den von mir genannten Problemen überhaupt zu befassen. Weil man sich nicht damit beschäftigen wollte, rief man stattdessen einfach: „Haltet den Dieb“ und dieser Dieb hieß eben Thilo Sarrazin. Und darin bestand die Skandalisierung. Mit den von mir geäußerten Inhalten hatte das nichts zu tun. Sondern allein mit dem fehlenden Willen, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.


Die Fragen stellte Alexander Aragón Berger.

Foto „Angela Merkel“ von Aron Urb (EU2017EE) unter der Lizenz CC BY-SA 2.0 via Flickr & Foto „Thilo Sarrazin-9438“ von Franz Johann Morgenbesser unter der Lizenz CC BY-SA 2.0 via Flickr.

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