Vor rund einem Jahr versteigerte das Auktionshaus Christie’s das Kunstwerk „Everydays: The First 5000 Days“, des US-amerikanischen Künstlers „Beeple“. Das versteigerte Kunstwerk: eine JPG-Datei, 21.069 mal 21.069 Pixel groß. Das letzte Gebot: 69.346.250 US-Dollar. Der Hype war perfekt. Auch nach über einem Jahr bleiben NFTs in aller Munde.
Business Beast hat deshalb mit einem Insider gesprochen, der NFTs seit ihren frühesten Tagen verfolgt und den Hype genau versteht. Dennis Daiber arbeitete fast 20 Jahre lang als Börsenmakler. 2018 heuerte er bei der Berliner Nuri Bank an. Ein Start-up, dass seinen Kunden ermöglicht, innerhalb weniger Minuten in verschiedene Kryptowährungen zu investieren. Im Interview erklärt er, welche Motive hinter dem Kauf von NFTs stehen, ob sie sich als Wertanlage eignen und warum er glaubt, dass der Markt längst überhitzt ist.
Was sind NFTs? „Non-Fungible-Token“ – kurz NFTs sind digitale Echtheitszertifikate, die auf einer Blockchain abgebildet werden. Die Blockchain ist ein digitales fälschungssicheres Protokoll, dass alle Transaktionen innerhalb eines Netzwerks verzeichnet. Dadurch ermöglichen NFTs etwas, dass in der virtuellen Welt des Internets lange Zeit schwierig war – das exklusive Eigentum an einer digitalen Datei. Dem Besitzer garantiert ein NFT, der Eigentümer eines Originals zu sein. Inhalt der Datei können zum Beispiel Bilder, Grafiken, Videos oder Texte sein. In einer Welt, in der sich digitale Inhalte eigentlich beliebig vervielfältigen lassen – bieten NFTs die Möglichkeit zur künstlichen Verknappung. Dadurch werden einige zu begehrten Sammelobjekten.
Business Beast: Du bist NFT-Sammler der ersten Stunde. Warum?
Dennis Daiber: Ich sammele schon seit Ewigkeiten. Im Grunde alles. Turnschuhe, Sammelkarten, Münzen. Da war der Schritt zu NFTs nicht mehr so weit. Für mich ist es im Grunde das gleiche wie das Sammeln von Karten.
Wann hast du Dir das erste NFT gekauft?
2014, damals wurde ein Online-Sammelkartenspiel in das Bitcoin-Blockchain-Protokoll eingebaut. Die Information, wem eine bestimmte Karte gehört, konnte dadurch auf der Blockchain encodiert werden. Das war ziemlich neu. Ich fand die Idee genial und habe mir gleich das erste Set zusammengekauft.
Aber Online-Varianten von Sammelkartenspielen gab es ja schon vorher. Worin genau bestand der entscheidende Unterschied?
Stimmt, aber da haben einem die Karten eben nicht wirklich gehört. Die lagen am Ende immer auf dem Server der Firma. Hätte die ihre Server abgestellt, wäre auch die Sammlung weg gewesen. Als ich zum ersten Mal die Idee mit der Blockchain sah, war mir klar, das ist im Grunde unantastbar. Zum ersten Mal gehörten einem die Karten wirklich selbst und man hatte jederzeit Zugriff darauf – einfach weil sie in meiner Wallet liegen.
Erst seit 2020 ist mit der Zeit ein globaler Hype gewachsen. Was gab den Ausschlag?
Viel zu viele Leute haben einfach viel zu viel Geld. Überschüssiges Kapital hat sich seine Wege gesucht. In der Community rechnen außerdem die meisten längst in Kryptowährungen. Nicht mehr in Dollar oder Euro. Dadurch gibt es einen starken Unterschied in der Wahrnehmung. Hat einer 1000 ETH, dann hat er einfach 1000 ETH. In Dollar wären das zurzeit mehr als drei Millionen. Das hört sich schon ganz anders an. Wenn etwas 500 Euro kostet, dann denke ich erst zweimal drüber nach. Wenn irgendein NFT das jemandem gefällt, zwei ETH kostet, dann kauft man das einfach.
Wie werden NFTs gehandelt? Die allermeisten NFTs werden inzwischen auf spezialisierten Portalen wie OpenSea, Nifty Gateway oder LooksRare gehandelt. Dort werden sie ähnlich wie auf den Verkaufsportalen Ebay oder Amazon angeboten und lassen sich gegen einen Festbetrag oder bei einer Versteigerung erwerben. Anders als auf Ebay werden die Käufe allerdings über Kryptowährungen wie Bitcoin („BTC“, aktueller Kurs: 41.800 Euro) oder Ethereum („ETH“, aktueller Kurs: 3.017 Euro) abgewickelt. Laut der NFT-Datenbank nonfungible.com, betrug das Gesamtvolumen des Handels mit NFTs im ersten Quartal 2020 rund 15 Millionen Dollar - ein Jahr später im gleichen Zeitraum bereits über 2 Milliarden Dollar.
Vor allem im Kunstbereich haben NFTs in dieser Zeit an Popularität gewonnen. Einige entwickelten sich zu begehrten Kunstobjekten…
… und dadurch kam viel neue Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt, da auch die großen Auktionshäuser wie Sotheby’s oder Christie’s immer öfter NFTs für Millionensummen verkauft haben. Und auch bekannte und längst etablierte Künstler haben angefangen, computergenerierte Kunst zu schaffen und als NFT anzubieten.
Wie muss ich mir den Unterschied zum klassischen Gemälde in einer Galerie oder in einem Museum vorstellen?
Wenn sich jemand einen Pollock kauft, dann kann er den eigentlich nur im Keller aufhängen, in einer Hochsicherheitsanlage oder vielleicht als Leihgabe in einem Museum. Beim NFT weiß ich immer genau, dass es mir gehört und ich kann es mir immer und überall anschauen. Auf meinem Handy, an meiner Wohnzimmerwand – auf einem Bildschirm oder hochauflösend ausgedruckt. Das ist ein bisschen wie mit einem Lamborghini, den man besitzt, aber nicht fährt. Es reicht zu zeigen, dass einem dieser teure und sehr seltene Gegenstand gehört. Auch wenn er nur virtuell ist. Bei einem NFT weiß man immer ganz genau, wem es wann gehört hat und was dafür bezahlt wurde. Außerdem gibt es die Sicherheit, dass man wirklich das Eigentum am Original hat. Das ist auch für die meisten Kunstsammler von großer Bedeutung.
Am Ende also ein reines Statussymbol? Liegt darin das Motiv für den Kauf eines NFTs?
Wenn sich jemand die originale Gutenbergbibel oder so was kauft – dann besitzt er sie zwar, kann sie aber nicht einfach herumzeigen. Die muss in einem temperierten, abgedichteten Raum lagern, darf kein Licht abbekommen oder berührt werden. Warum kauft sich jemand so etwas? Weil alle anderen wissen, dass er es besitzt. Es kann zwar keiner sehen. Aber das ist zweitrangig. Die Leute wissen, du hast sie Dir gekauft und vielleicht sogar zu welchem Preis. NFTs sind im Grunde das Gleiche. Nur sie sind halt viel liquider. Sie sind einerseits Statussymbol, klar. Aber ich kann sie auch ohne großen Aufwand und sehr schnell handeln. Bei der Gutenbergbibel oder alten Gemälden brauche ich Agenten, Vermittler und Auktionshäuser, um sie wieder loszuwerden. Ein Spezialist muss vielleicht noch die Echtheit belegen. All diese Mittelsmänner fliegen raus. Beim NFT wissen alle – dieses Werk gehört zu dieser Wallet. Ein direkter Zugang zum Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Was ist eine Wallet? Eine Wallet (engl. für Brieftasche) erlaubt es, Guthaben auf elektronischen Plattformen zu speichern und diese für Zahlungen im Internet zu verwenden. Ähnlich einem Bankkonto werden in einer Wallet Informationen über das Guthaben seines Inhabers gespeichert. Auf einer Krypto-Wallet halten Nutzer also zum Beispiel ihre Guthaben in Kryptowährungen wie dem Bitcoin. Aber auch NFTs lassen sich darüber verwalten. Jeder, der Kryptowährungen besitzt oder mit ihnen handelt, benötigt eine Wallet. Jede einzelne Wallet besitzt eine eindeutige ID (eine einzigartige Identifikationsnummer). Es existieren unterschiedliche Arten von Wallets. Zum Beispiel Hardware Wallets oder Software Wallets, die wiederum verschiedene Unterkategorien haben.
Woran lässt sich der Wert eines NFTs bemessen?
Das ist schwer, man muss Erfahrung sammeln. Investieren, ausprobieren und sich dadurch herantasten. Aber ein paar Überlegungen kann man schon treffen. Den Urheber eines NFTs kann man zum Beispiel recherchieren. Hat er vorher schon mal ein NFT rausgebracht. Wie haben sich da die Preise entwickelt? Wie schnell waren die ausverkauft? Wie bekannt ist er? Aus solchen Informationen kann man schon einiges herauslesen.


Links: Ein Abbild aus der Serie des „Bored Ape Yacht Club“ (kurz „BAYC“). Dahinter steht eine riesige Community mit eigenen Clubs, eigenen Partys und irgendwann auch mal eigenen Jachten. Der aktuelle Wert: ca. 400.000 USD. Rechts: CryptoPunk #5465 – einer von insgesamt 10.000 CryptoPunks, die im Jahr 2018 noch kostenlos ausgegeben wurden. Der heutige Gegenwert: ca. 450.000 USD. (Quelle: opensea.io)
Betrachtest du NFTs als Wertanlage?
Zum Teil. Die meisten NFTs in meiner Sammlung habe ich sehr früh gekauft. Da waren die im Grunde noch nichts wert. Und da habe ich auch noch nicht damit gerechnet, dass das mal so abgeht. Aber es tatsächlich als Investment zu behandeln – das ist eher schwierig. Es sei denn, man spielt ganz oben mit. Das große Geld wird im obersten Prozent des Marktes verdient. Also da, wo die wirklich seltenen und extrem begehrten NFTs gehandelt werden. Die absoluten Spitzentitel. Aber da geht es inzwischen um Summen, die die meisten nicht einfach mal so aus Interesse investieren können. Außerdem ist der Markt extrem volatil. Das muss man immer bedenken.
Also längst zu spät, um in den Markt einzusteigen?
Es gibt so viele Plattformen und so viele Personen, die NFTs kreieren. Da wird es immer jemanden geben, dessen Wert explodiert. Aber dafür gibt es natürlich kein sicheres Rezept. Am besten geht man da ran wie beim Kauf von Kunst für das eigene Wohnzimmer. Gefällt mir das in fünf Jahren noch, wenn ich es nicht loswerde?
Wie sieht die Community heute aus – immer noch wie am Anfang?
Nicht mehr ganz. Aber im Kern ist die Community unverändert. Jung und definitiv im Internet zu Hause. Ältere Herrschaften haben damit zumeist weniger zu tun. Selbst bei den großen Auktionshäusern kamen die Käufer eher aus der Krypto-Welt und nicht aus dem traditionellen Kunstmarkt. Ich glaube, dort wird das bislang noch nicht so ernst genommen. Es sind eher die jungen Krypto-Millionäre die mit Ende 20 auf 350 Millionen sitzen und einfach mal 100 ETH ausgeben können.
Wie schwer ist es da heute reinzukommen?
Das intensive Eingraben in die Community gehört auf jeden Fall dazu. Da herrscht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Und es gibt mittlerweile auch viele verschlossene Kanäle, die genutzt werden, um Tipps weiterzugeben, Kontakte herzustellen, Trades einzufädeln. Da hat ein bisschen Gatekeeping Einzug gehalten – ganz wie auf dem klassischen Kunstmarkt.

Mit der technischen Grundlage der NFTs kann man noch so viel mehr anstellen als nur virtuelle Sammelkarten und Kunst. Was sind Deiner Meinung nach die interessantesten Anwendungen?
Zum einen Grundbesitz. Wer mal ein Haus, eine Wohnung oder ein Grundstück gekauft hat, der weiß: Katasteramt, Vermessungsamt, Grundbuchamt, Notar und so weiter. So was könnte man in Zukunft stark vereinfachen. Eine Blockchain könnte theoretisch sogar das Grundbuch ersetzen. Zum anderen wäre da der Vertrieb von Musik. GEMA, Streaming-Dienste und Plattenfirmen halten dabei bisher alle die Hand hin und zweigen viel Geld ab. Bei den Künstlern selber bleibt – bis auf die wenigen Top-Künstler – nicht viel hängen. Auch da gibt es vielversprechende Experimente. Manche Künstler haben bereits damit angefangen, ihre Musik und die Rechte daran als NFT zu verkaufen. Aber das steckt noch in den Kinderschuhen.
Und Metaverse?
Das wäre ein weiterer Anwendungsfall. In verschiedenen Welten lassen sich zum Beispiel virtuelle Avatare beliebig ausrüsten, Häuser errichten, verkaufen und so weiter. Das alles läuft dann über Token auf der Blockchain, die auf einen bestimmten virtuellen Gegenstand verweisen und den Besitz daran belegen. Die Möglichkeiten sind dort beinahe unbegrenzt. Die Entwicklung wird noch spannend werden.
Vielen Dank für das Gespräch.