Wie unsere Marktwirtschaft zu retten ist

Unsere tradierte Wirtschaftsordnung steht auf dem Prüfstand. Handelspartner sollen fortan Wertepartner sein. Das stellt auch die Beziehungen zu wichtigen deutschen Exportmärkten infrage. Gleichzeitig verschärfen sich weltweit Verteilungsfragen. Längst wird eine neue Weltwirtschaftsordnung verhandelt und die Zukunft unserer Gesellschaft entworfen. Für einen Blick in diese Zukunft sprach Business Beast mit dem Ökonom Thomas Straubhaar. Er ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität Hamburg und Kolumnist für die Tageszeitung WELT.

Prof. Straubhaar, wie gefährlich ist unsere Abhängigkeit von China?  

Wie zuletzt auch auf dem Weltwirtschaftstreffen in Davos diskutiert wurde: sehr. Es wird immer deutlicher, dass marktwirtschaftlich-kapitalistische Grundsätze für China nur solange gelten, wie sie den Zielen der kommunistischen Partei und des Staatspräsidenten dienen. Diese Doktrin des „China First“ macht vor Menschenrechten, Völkerrecht und internationalen Vereinbarungen keinen Halt. Russland war für uns in erster Linie Rohstofflieferant. Von China sind wir im Vergleich dazu noch viel abhängiger, weil es auch Absatzmarkt ist.

Einige Prognosen beschreiben derzeit eine neue Teilung der Welt: in einen demokratischen Block der USA und EU und eine autokratische Sphäre um China und Russland. Halten Sie das für eine realistische Beschreibung?

Das halte ich für sehr realistisch. Die Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit kann nach dem Krieg in der Ukraine nicht wieder aufgegriffen werden. Auch in diesem Sinne verursacht der Krieg wirklich eine Zeitenwende. Die alte Weltwirtschaftsordnung ist am Ende. Und im Moment ist noch völlig offen, wie die neue Weltordnung, also auch die neue Weltwirtschaftsordnung der Zukunft, aussehen wird.

Aber wahrscheinlich scheint ein Wiederaufleben des Blockdenkens, wie wir es in der Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts hatten und das im Wesentlichen mit dem Kollaps der Sowjetunion ein Ende fand. Das Ergebnis wären zwei Blöcke. Auf der einen Seite ein marktwirtschaftlich-kapitalistisches System um die USA herum. Auf der anderen Seite ein System mit China im Zentrum und seinen Satelliten in der Peripherie. Geprägt von zentralistischer Führung und einem allwissenden, lenkenden Staatsoberhaupt.

Das heißt, mit einer Rückkehr zur Logik des „Wandels durch Handel“ rechnen Sie nicht mehr?

Das ist eine der bitteren Konsequenzen aus den jüngsten Ereignissen, die mich selbst in meinen eigenen Überlegungen zum Umdenken zwingt. Ganz offenbar kann man Diktatoren und antikapitalistische, antiliberale, antidemokratische Kräfte durch Handel nicht zum Wandel bringen. Im Zweifel ist autokratischen Regimen leider doch jedes Mittel recht. Die kleineren europäischen Länder haben die letzten 70 Jahre stark vom Prinzip des Wandels durch Handel profitiert. Denn die alte Wirtschaftsordnung betonte die Macht des Rechts. Jetzt erleben wir die Rückkehr zur Dominanz des Stärkeren. Das bringt die europäischen Länder in eine bedrohliche Lage.

Die „Evelyn Maersk“ im Hamburger Hafen. Ungebremster Welthandel – das war einmal. Lieferketten und globale Abhängigkeiten stehen inzwischen auf dem Prüfstand.

Die aktuellen Verwerfungen belasten die deutsche Volkswirtschaft schon jetzt enorm. Die Frage, wie sie trotz Pandemie- und Kriegsschäden zu retten ist, erscheint aktueller denn je. Teil Ihrer Antwort auf diese Frage ist ein bedingungsloses Grundeinkommen. Also Geld ohne Leistung. Kann das wirklich die Zukunft sein?

Das ist eine berechtigte Frage. Aber ich bin davon überzeugt, dass es unverzichtbar ist, die Sozialsysteme in Europa neu zu denken. In diesen unsicheren und disruptiven Zeiten können wir systemische Risiken genau beobachten – Risiken, gegen die Sie sich nicht individuell versichern können. Also Krieg, Pandemie, Systemkonflikte, Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung… Sie können sich noch so viel Mühe geben und noch so viel persönliche Vorsorge treffen. Wenn ein Krieg ausbricht, dann sind Sie seinen Folgen höchstwahrscheinlich schutzlos ausgeliefert.

Daraus folgt?  

Die resultierenden Verteilungsfragen haben wir zu lange verdrängt. Wir dachten, wenn wir nur die Märkte sprechen lassen, dann wird die Flut alle Boote heben und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich durch den steigenden Wohlstand letztlich alle der marktwirtschaftlichen Logik anschließen. Doch aktuell beobachten wir das Gegenteil. Die Verteilungsfrage löst sich nicht von selbst auf und die Verteilungsprobleme treten stärker denn je in den Vordergrund. Um die Marktwirtschaft zu retten, muss also jemand, der für die Marktwirtschaft eintritt – wie ich das tue – überzeugende Antworten auf diese Verteilungsproblematik liefern. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Versuch zu zeigen, wie man das zeitgemäß und effektiv angehen sollte.

Sie sind also kein Kommunist…?

Natürlich nicht. So einer Zuschreibung müsste ich vehement widersprechen. Im Gegenteil: Ich bin der Überzeugung, dass es sich mehr denn je lohnt, unsere Marktwirtschaft zu retten. Aktuell zeichnet sich ein Systemwettbewerb zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft, zwischen Markt und Staat ab. Und unsere Marktwirtschaft ist ein überzeugendes Instrument, das am Ende mehr Wohlstand und mehr Freiheit für alle erzeugen kann.

Aber bedeutet ein Grundeinkommen nicht auch deutlich mehr Staat?

Es ist wohl unstrittig, dass Marktwirtschaft nicht als ungezügelte oder unregulierte Marktwirtschaft zu verstehen ist. Sie braucht ihre Rahmenbedingungen. Die aber sollten so effizient wie möglich ausgestaltet werden. Und noch einmal: Wir haben die Verteilungsfolgen der Marktwirtschaft lange Zeit zu optimistisch, wenn man so will, zu naiv gesehen. Ich möchte nicht erleben, dass wir in zehn Jahren sagen, genauso wie wir Wandel durch Handel als Instrument auf den Friedhof der Geschichte verbannen mussten, müssen wir auch die Überzeugung verbannen, dass die Marktwirtschaft Verteilungsprobleme von alleine lösen kann. Wenn die Marktwirtschaft überleben soll, dann muss sie Verteilungseffekte berücksichtigen und sie modern und zeitgemäß lösen.

Kann Deutschland so einen Schritt selbstständig wagen, oder muss die Einführung des Grundeinkommens als gemeinsamer europäischer Schritt erfolgen?

Ich denke, da muss man pragmatisch und Schritt für Schritt vorgehen. Wo es möglich ist, sollten wir die Chance auch nutzen. Denken Sie zum Beispiel an das aktuelle Entlastungspaket. Dort wäre eine Pro-Kopf-Pauschale – und nichts anderes ist am Ende das Grundeinkommen – viel vernünftiger gewesen als Tankrabatte, 9-Euro-Tickets oder Energiepauschalen. Denn damit möchte man ja die Bevölkerung vom systemischen Risiko der Inflation entlasten. Hier hätte man also bereits mit der Idee des Grundeinkommens starten können. Statt Autofahrer oder ÖPNV-Pendler paternalistisch und zweckgebunden zu entlasten, hätte man allen die in Deutschland leben, auch eine Pauschale auszahlen können. So hätte man die Menschen ermächtigt, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Kaufkraft einsetzten und nicht von oben herab diktiert, was sie tun müssen und was gefördert wird.

Wie schätzen Sie die politische Unterstützung für das Grundeinkommen ein – wann könnte es in Deutschland zu ernsthaften Bestrebungen kommen?

Das wird schneller gehen als viele denken. Wir sehen bereits erste Nadelstiche, mit deren Hilfe man zeigen kann, wie sehr gerade diejenigen, die vorgeben, eine liberale Politik zu verfolgen, mit Einzelmaßnahmen dann doch paternalistisch argumentieren. Und ich bin nicht der Einzige, der sich daran stört. Wirtschaftsvertreter, gerade im IT-Bereich, die mit Big Data, Algorithmen oder KI zu tun haben, verstehen längst, dass neue Technologien entstehen, die uns zwingen zu überlegen, wie wir unseren Wohlfahrtsstaat mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und neuen Technologien kompatibel machen.

Sie sind Schweizer – was machen die Schweizer besser als die Deutschen?

Sie haben Recht. Ich bin Schweizer, habe mittlerweile aber auch das Privileg Deutscher zu sein. Die Schweiz ist meine Heimat, Deutschland mein Lebensmittelpunkt. Deshalb wünsche ich mir, das Beste aus beiden Ländern zusammenzubringen. Meine schweizerische Seite sagt mir, dass Pragmatismus als Gegenpart zu Ideologie sehr wichtig ist. Typisch schweizerisch ist auch die Stärkung des Individuums und der Eigenverantwortung. Das würde ich gerne mit der sehr starken und innovativen Wirtschaft in Deutschland vereinen.

Herr Prof. Straubhaar, vielen Dank für das Gespräch.


Die Fragen stellten Louis Hagen und Maxim Zöllner-Kojnov.

Bild „Prof. Dr. Thomas Straubhaar auf dem Hauptstadtforum der INSM“ von INSM unter der Lizenz CC BY-ND 2.0 via Flickr.

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